Einführung in die Ausstellung von
Andrea Weyergraf-Hahn
Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu
dieser Kunstausstellung; besonders begrüße ich die Künstlerin, Frau Andrea Weyergraf-Hahn
aus Ratingen, und die Organisatorin der Ausstellung, Frau Marlies Blauth.
Einige Bemerkungen zur Arbeitsweise der Künstlerin. Zunächst
muss man sagen: Sie ist eine große Sammlerin. Sie sammelt alles, was nicht
niet- und nagelfest ist, was weggeworfen wurde, was herumliegt, was keinen
Gebrauchswert hat: Schrotteile, Muscheln, Perlen, Fossilien, Glaskugeln,
Federn, Ketten, Schmuckstücke.
Angeregt durch solche Fundstücke, findet sie dann eine
inhaltliche Idee, die sie notiert und weiter verfolgt, um sie dann irgendwann
umzusetzen. Diese Umsetzung erfolgt in mehreren Arbeitsschritten, die Sie
leicht auf den Arbeiten nachvollziehen können: Es gibt eine Grundlage, die den
farblichen Grundklang bestimmt; darüber werden weitere Schichten gelegt, mal aus
Sand, mal aus Spachtelmasse, mal aus Draht, mal aus Seidenpapier; schließlich
werden die Fundstücke darauf platziert und manchmal auch noch Sätze oder
Wortfetzen eingefügt. Die inhaltliche Idee wird mit einem Titel konkretisiert.
So entstehen ihre Arbeiten, die man als „Collagen“ – als
Klebebilder – oder (noch angemessener) als „Assemblagen“ bezeichnen kann, als
Montagen von raumgreifenden Objekten und Gegenständen zu Materialbildern.
Zu den 11 Bildern in dieser Ausstellung möchte ich Ihnen jeweils
ein paar Hinweise zur Form und zum Inhalt geben, die zum Verständnis hilfreich
sein können und die Ihre eigenen Entdeckungen begleiten können. Beginnen wir
mit den 5 Arbeiten hier in der Kirche (von links nach rechts).
Ganz links sehen Sie drei kleinere Arbeiten, jeweils mit dem
Titel „Wie ein neues Leben“; dieser Titel geht zurück auf Gedanken der
Philosophin und Märtyrerin Edith Stein (1891 – 1942). Der Text ist bei den 3 Arbeiten mit Tusche auf Seidenpapier
geschrieben; darüber ist eine rostige Wellpappe gelegt, aus der Kreise gestanzt
sind, durch die man den Text fragmentarisch lesen kann. Auf allen drei Arbeiten
sind kleine Eisenteile und eine Feder montiert („Stückwerk“ wie es im Text
heißt): Dadurch wird ein Gegensatz assoziiert zwischen Schwerem und Leichtem,
zwischen Bedrückendem und Befreiendem – so wie es auch in dem Text anklingt:
„Beschämung und Reue“ – „neues Leben“. Die Dreizahl der Arbeiten erinnert
natürlich auch an die Dreifaltigkeit, die ständig neues Leben spendet
(Zahlensymbolik spielt auf den Arbeiten der Künstlerin immer wieder eine
Rolle); und die örtliche Nähe zum Taufbecken macht „neues Leben“ besonders
anschaulich.
In der Mitte der Apsis und damit im Zentrum hängt die Arbeit,
die der gesamten Ausstellung den Titel gibt: „Hoffnung“. Insbesondere diese
großformatige Arbeit kann für die kommende Passions- und Osterzeit einige Anregungen
geben. Der graue, schwere Untergrund kann Leiden, Kreuzweg, Trauer assoziieren.
Darüber ist eine Gitterstruktur gelegt und darauf ein gelbliches Seidenpapier,
das in der Mitte rötlich schimmert: Freude, Hoffnung, Ostern leuchten auf,
pulsieren wie ein Vulkan auf den Betrachter zu. Die aufbrechende positive,
hoffnungsvolle Stimmung wird aber noch zurückgehalten durch die beiden parallelen
rostigen Bänder oder Stäbe, die wie ein Gitter über das Wechselspiel von Trauer
und Hoffnung gelegt sind. Dennoch lassen die beiden Urformen und
Vollkommenheitsformen der Arbeit – das Quadrat und der Kreis –, sowie die
durchscheinende, aufgehende Ostersonne ein gutes Ende erwarten. Auch die Nähe
dieser Arbeit zur Osterkerze kann diesen Gedanken unterstreichen.
Rechts sehen wir dann die quadratische Arbeit „Kreuz“. Auch hier
ein grauer, trister Untergrund mit einigen rot-orange Einsprengseln, die an
Blut, an Karfreitag erinnern. Darüber eine Spachtelmasse mit Sand und Pigmenten
vermischt. Und darüber gelb-eingefärbtes Seidenpapier, das sich nach vorne
wölbt. Darüber sind mehrere rostige Drähte in Kreuzform gelegt, in deren
Schnittpunkt zwei rostige Ringe montiert sind. Und ganz im Zentrum befindet
sich ein kleiner goldener Ring – gleichsam wie das „Auge Gottes“. Auch diese
Arbeit lebt vom Gegensatz Tod und Leben. Da sind einerseits die ausgespannte
Kreuzform der Drähte und die beiden Ringe, die an den Rundstein erinnern, der
vor das Grab gerollt wurde – da sind andererseits das österliche Licht, das
durchschimmern will, und die zarten Bande, die eine Verbindung zwischen Erde
und Himmel herstellen.
Die weiteren 6 Arbeiten sind im Gemeindesaal ausgestellt; und
ich darf Sie bitten, dorthin zu gehen (Ortsveränderung tut immer gut!).
Die Arbeiten sind von links nach rechts anzuschauen – im
Uhrzeigersinn. Ganz links die Arbeit „Auferstehung“, deren Titel auf ein
Gedicht von Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) zurückgeht. Auch hier sind einige Wortfetzen des
Gedichtes zu lesen; und einige Fundstücke greifen einzelne Gedanken auf: das
Zifferblatt die „Weckuhren“ und den „Leuchtzeiger“, die Feder das „leicht“, die
Schraubenmutter das Schwere des „Gewohnten“ und der Stein mit dem Loch (der in
manchen Gegenden an Eingängen von Häusern zu finden ist, um das Böse
abzuwehren) den Gedanken „Haus aus Licht“. Auch auf dieser Arbeit wird der
Gegensatz von Tod und Leben thematisiert.
Ebenso auf der nächsten rechteckigen Arbeit „Hervorscheinendes
Licht“. Über eine alte, hell-orange-farbige Arbeit hat die Künstlerin eine
graue Spachtelmasse gelegt, dabei aber sieben längs-rechteckige Spalten
freigelassen, sodass das Gelb wie durch Gitterstäbe hindurch scheint. 7 ist
eine Symbolzahl, eine Vollkommenheitszahl, die sich aus der göttlichen Zahl 3
und der irdischen Zahl 4 zusammensetzt. Vor diese sieben Gitterstäbe sind drei konzentrische Ringe platziert, die die göttliche Symbolik nochmals
thematisieren – auch dadurch, dass einige Ringe golden gefasst sind.
Schließlich ist ganz in die Mitte noch eine blau-türkis-farbige Kugel
eingelassen, die die himmlische und göttliche Vollkommenheit anschaulich in den
Mittelpunkt rückt.
Die nächste kleine Arbeit „Weniger ist mehr“ zeigt eine
Kreuzform, bei der der Querbalken aus dem geschriebenen Titel besteht und der
Längsbalken aus einem Stück Holz, auf dem ein Nagel, ein Dornenstück und eine
kleine Rose befestigt sind. Die Arbeit stellt anschaulich den Vers aus dem
Philipper-Brief vor Augen: „Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod.“
„Wie ein neues Leben“ ist eine etwas größere Variante der drei Arbeiten, die wir anfangs im Kirchenraum beim Taufbecken betrachtet haben.
Die nächste Arbeit „Das Gebet“ ist die einzige, die keine
Fundstücke trägt. Auf einem ursprünglich dunkelroten Untergrund, der an Feuer
und Blut erinnert, ist eine türkisblaue Spachtelmasse gelegt (Blau als Farbe
des Himmels), die mit den breiten Zinken eines Holzkamms durchzogen und zu Mustern
strukturiert wurde. Links und unten werden dabei Kreuzesbalken geformt; rechts
oben eine Kreis- oder besser noch: eine Spiralform. Beide Rundformen sind in
der Ikonographie Symbole für Gott und die Unendlichkeit. Diese Göttlichkeit
wird durch die Goldfassung noch akzentuiert. Auf dieser Arbeit wird die
mögliche Zwiesprache vom Menschen zu Gott oder von Gott zum Menschen anschaulich.
Auch kann man mit diesem Gemälde den Anfang des Johannes-Evangeliums
assoziieren: „Im Anfang war das Wort…“
In der letzten quadratischen Arbeit „Aufbrechen“ klingt nochmals
das Grundthema dieser Ausstellung an: „Hoffnung“. Über einen lebendigen,
braun-roten Untergrund, der Irdisches andeutet, legt sich schwer und
überdeckend eine graue Schicht. Darüber ist ein rostiger Maschendraht
ausgebreitet und darüber schimmert gelbes Seidenpapier. Davor ist eine aus
mehreren Seidenpapier-Schichten eine aufbrechende, aufplatzende gelbe
Blüten-Form platziert. Und im Inneren der Blüte leuchtet eine goldene Kugel. So
vermittelt diese Arbeit: Alles Verkrustete, alles Überlagernde, alles Hemmende
muss überwunden werden und etwas ganz Neues muss entstehen.
Alle Arbeiten in dieser Ausstellung sind geprägt vom formalen Gegensatz
zwischen haptischen, verwitterten Materialien und zarter Malerei und vom
inhaltlichen Gegensatz zwischen Tod und Leben, zwischen Irdischem und
Göttlichem, zwischen Kreuz und Auferstehung. Sie lassen eine Ahnung spüren,
dass das Hier und Jetzt nicht das Endgültige ist, dass es eine Hoffnung auf ein
„Mehr“ gibt, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Damit hat die Künstlerin, Frau Andrea Weyergraf-Hahn, Werke
geschaffen, die viel von dem vermitteln, was Kunst leisten kann und leisten
sollte. Der amerikanische Künstler Bruce Nauman (geb. 1941) hat das mal so
formuliert: „Der wahre Künstler hilft der Welt durch das Enthüllen mystischer
Wahrheiten.“
Ich danke der Organisatorin des Projekts „Kunst in der Apsis“,
Frau Marlies Blauth, die diese Ausstellung ermöglicht hat; ich danke der
Künstlerin, dass sie uns mit ihren Arbeiten inspiriert und in andere
Dimensionen entführt; und ich danke Ihnen allen für Ihre geduldige
Aufmerksamkeit.
Dr. Kurt-Peter Gertz