Finsternis und Licht
Liebe Gäste, liebe Johanna
Sandau!
Energiekrise – Stromausfall
– Blackout, das sind Vokabeln, die wir in den letzten Monaten neu gelernt
haben. Was alles würde finster,
wenn die Stromversorgung für längere Zeit ausfiele?
Dunkelheit, Kälte,
Hilflosigkeit würden uns beherrschen – von all den technischen Geräten hängt
buchstäblich unser Leben ab. Glücklicherweise ist uns
diese Erfahrung bisher erspart geblieben.
Dunkel und düster ist das,
wovor wir uns fürchten. Weil wir nichts oder nicht genug sehen.
Neben der „praktischen“
Funktion des Lichts – das uns die Umwelt sehen und erkennen lässt – gibt es
auch eine andere, darüber hinausweisende: Begriffe wie Lichtblick,
das Licht am Ende des Tunnels benutzen wir fast täglich – immer wenn es
darum geht, aus einer unangenehmen, vielleicht seelisch dunklen Phase
herauszukommen.
Das Licht muss etwas
Tröstliches haben. Da scheint etwas auf.
Lichtungen kennen wir auch, ebenso
lichte Momente, leuchtende Augen oder das sonnige Gemüt: Alles
Gegensätze zur Finsternis.
Bei Jesaja 9,1 heißt es: Das
Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da
wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Wenn man ins Kirchenjahr
blickt, entdeckt man viele volkstümliche Bräuche, die mit Licht zu tun haben. Am Ende des Kirchenjahres
steht der „graue“ November mit seinen Totengedenktagen. Ein Meer aus
Grablichtern erinnert an die Verstorbenen. Mit dem Martinsfeuer und
vielen bunten Laternen wird der heilige Martin gefeiert. Dann beginnt das neue
Kirchenjahr: mit jedem Adventsonntag wird eine weitere Kerze angezündet, je
weiter die Zeit vorrückt, desto heller wird es – bis am Heiligen Abend der
Weihnachtsbaum „voll“ zum Leuchten gebracht wird. Es gibt Regionen, zum
Beispiel die Fränkische Schweiz, in der um Weihnachten herum Lichtprozessionen
stattfinden: Teile der Landschaft werden mit Feuern und Laternen erhellt.
Wunderbarerweise bot der
bekannte göttliche Stern von Bethlehem ein Licht, das noch immer seinesgleichen
sucht.
Das Licht als
geheimnisvolle, göttliche Energie, als Christus als Licht der Welt zu den
Menschen kam. Das „alte“ Datum des
Weihnachtsfestes ist der 6. Januar und gilt in der Orthodoxen Kirche noch
heute. In den westlichen Kirchen heißt es Epiphanias, Erscheinung
Christi. Die Christusfeste im
Kirchenjahr sind mit der Kirchenfarbe Weiß assoziiert, der hellstmöglichen
Farbe, in der das gesamte Farbspektrum enthalten ist.
Damit Farben sichtbar sind,
braucht es Licht. Ist es zu schwach, sehen wir nur verschiedene Grautöne.
„Graue Tage“ sind aber
nichts, was wir haben wollen. Wir schenken uns Blumen oder packen Geschenke in
farbiges Papier, um das Grau wegzufärben.
Oder wir schauen uns Kunst
an. Die mit den Farben ganz unterschiedlich arbeitet.
Physikalisch erklärt,
reflektieren und absorbieren die verschiedenen Farben, Farbpigmente,
unterschiedliche Anteile des einfallenden Lichts.
Schwarz schluckt das Licht
nahezu vollständig, Weiß dagegen reflektiert es fast ganz.
Johanna Sandau arbeitet mit
vielen, feinen Farbnuancen. Zum Teil trägt sie das Farbmaterial lasierend (also
transparent) nacheinander und übereinander auf – und und sorgt auf diese
Weise für eine so genannte optische Farbmischung. Das ist ein Prinzip, das man
von überlappenden Stücken Transparentpapier kennt, die man ins Licht hält.
Um ihre Nuancenvielfalt zu
erzielen, mischt die Künstlerin die Farben natürlich auch so, wie man es noch
vom Farbkasten kennt. Sie benutzt Acryl- und
Ölfarbe. Die Ölfarbe mit ihrer Brillanz ist gut geeignet, um den Eindruck von
Räumlichkeit zu unterstützen.
Landschaften. Bilder wie
Fenster. Johanna Sandau lässt alle Details weg, sie abstrahiert auf das
Wesentliche: Himmel, Wolken, Vegetation, Gewässer.
Johanna Sandau war bei uns
schon mehrfach zu Gast, sie zeigte hier bereits eine Ausstellung zu Passion und
Ostern und war an mindestens einer weiteren maßgeblich beteiligt. Wir freuen uns, dass sie
auch diesmal den Aufwand nicht scheute, aus Bochum herzukommen und uns ihre
Bilder aus der Serie „Horizonte“ eine Zeitlang zur Verfügung zu stellen. Danke!
Sie wurde 1963 in Düren
geboren.
Nach Aufenthalten u. a. in
Australien entschied sie sich, Kunst und Kunsttherapie zu studieren. Ihre Bilder sind und waren
in vielen Kliniken und kirchlichen Räumen zu sehen – man kann es sich gut
vorstellen. Die Ruhe und
Lebhaftigkeit dieser Bilder sprechen eine vertraute Sprache, die nicht weit
entfernt ist vom – im besten Sinne – Alltäglichen. Da muss nichts übersetzt
werden.
Aber da ist auch etwas, das
über das alltägliche Sehen hinausweist, auf etwas Höheres hindeutet. „Meditativ“ wirkten die
Bilder, heißt es in einem Zeitungsartikel über Johanna Sandaus Kunst. Ein Begriff, der ja fast
inflationär gebraucht wird; aber er stimmt hier. Die farbperspektivisch
geöffneten Räume ermöglichen den Blick in die Tiefe und Weite, oftmals
tatsächlich aus einem dunklen Vordergrund heraus in lichte Landschaften. Ein
Blick ins Helle – ein Lichtblick eben.
Frühere Bilder von Johanna
Sandau waren abstrakte Farbkompositionen, Farbfelder. Diese gewannen – mit dem
Fortgang der künstlerischen Arbeit – immer mehr an Räumlichkeit, bis sie
irgendwann „landschaftlich“ wurden.
Johanna Sandau ist viel
draußen in der Natur, wandert, schaut genau hin und fotografiert auch. Ihre Landschaftsmalerei
nimmt sich diese Fotos aber nicht zum Vorbild, sondern sie entsteht sowohl aus
der Erinnerung als auch aus einer Eigendynamik heraus. So geht es auch nie um
benennbare Orte, sondern um Eindrücke und Stimmungen. Die Bilder sind nahe am
Scheitelpunkt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion: Zweifellos Landschaften,
aber eben ohne Details. Wir sehen Vegetation, aber
keine einzelnen Pflanzen; Berge und Hügel sind angedeutet, ohne genauere
Ausformulierung von z. B. Felsformationen.
Johanna Sandau arbeitet
allein mit der Farbperspektive, das heißt: Der spezielle Einsatz der
Farbe generiert einen Eindruck von Räumlichkeit. Dazu gehört beispielsweise,
den Vordergrund kontrastreicher darzustellen als Mittel- und Hintergrund. Auch ein stärkerer Rotgehalt
definiert das „Vorne“.
Jeder von Ihnen kennt das
Dunstig-Bläuliche, wenn man bei schönem Wetter in die Ferne schaut. Achten Sie
mal darauf: Rötliche Töne werden in großer Entfernung optisch geschluckt. Es gibt allerdings eine
Ausnahme: Morgenrot und Abendrot. Es stellt das farbperspektivische Sehen gleichsam auf den Kopf; wahrscheinlich fasziniert es deswegen so
besonders.
Die Landschaften von Johanna
Sandau sind also eher symbolhaft-erinnert, nicht abgebildet: Sie zeigen uns
Wege, Wege durch Schatten- und Lichtregionen, durch helle und dunkle Phasen.
Es ist wichtig, dass es
beides ist, denn Licht und Schatten sind nicht nur Gegensätze, sondern bedingen
einander. Wer jemals künstlerisch gearbeitet, Natur- und Objektstudien gemacht
hat (gezeichnet oder auch fotografiert), weiß das.
Im gleißenden Licht sieht
man bekanntlich auch nicht gut, denn es fehlt an Kontrasten. Man ist geblendet.
Zuviel ist zuviel, es gibt Überbelichtung (auch bei Fotos), Schneeblindheit,
Ikarus kam der Sonne zu nahe usw.
Johanna Sandau „erdet“ uns,
die Betrachter. Auch so ein Modewort, das hier aber passt. Sie lässt uns unsere
Wege gehen – nicht fliegen.
Möge auf die Schattenseiten
bald wieder Licht fallen – das Licht der Welt.
Eines noch – zum Schluss:
Johanna Sandau hat ihren Bildern keine Titel gegeben, sondern zu jedem Bild ein
Haiku geschrieben.
Ein Haiku ist ein kurzes,
oft dreizeiliges Gedicht mit bestimmten Silbenvorgaben; diese lyrische Form
stammt wohl ursprünglich aus Japan und hat sich inzwischen über die ganze Welt
verbreitet.
Zu ihrem dreiteiligen Bild
in der Apsis schreibt sie:
Licht und Finsternis.
Am Himmel lichte Wolken.
Tief schwarzes Erdreich.
Ich rate diesmal besonders,
etwas genauer auf die Preislisten zu schauen, denn dort sind die Haikus zu
lesen.
Vielen Dank!
Marlies Blauth
Fotos
Einzelbilder / Portrait: Johanna Sandau
Ausstellung: Marlies Blauth