Ilse Petry-Ambrosius: Frieden. Detail aus
ihrem Triptychon
Werte Anwesende,
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Suche den
Frieden und jage ihm nach heißt das Thema unserer aktuellen Ausstellung.
Es ist die Jahreslosung der Evangelischen Kirche für das Kirchenjahr 2018/19. Wer
hätte gedacht, dass dieses Kirchenjahr von weltweit so zerstörerischen
kriegerischen Konflikten und gesellschaftlichen Verwerfungen gezeichnet wäre,
wie es sich uns im Augenblick zeigt.
Prophetisch könnte man diese Losung, diese Parole für das
kirchliche und christliche Handeln also bezeichnen. Die Aufforderung der Losung
ist so notwendig wie bisher.
Unser Leben ist unfriedlicher geworden, weltweit und in der
deutschen Gesellschaft. Brauner Sumpf und terroristische Ignoranz sind nur zwei
von vielen unser Zusammenleben zersetzenden Strömungen, die zu auch aggressiven
Zerwürfnissen geführt haben, bis hin zu politisch und antisemitisch motivierten
Morden.
Es ist „umnachtete Zeit“, schreibt Marlies Blauth, „der boshafte (steht) nebenan und rührt die zukunft
in seine töpfe“.
Das aber darf nicht von Erfolg gekrönt werden. Deshalb das Suche den Frieden und jage ihm nach aus
dem Psalter des Alten Testaments, aus einer Lied- und Gebetssammlung, die
weisheitliche und prophetische Elemente enthält, deren Metaphern und Bildern seit
zweieinhalb Jahrtausenden Menschen ansprechen und bewegen, weil man sich in
ihnen bis heute wiederfinden kann.
Suche den
Frieden und jage ihm nach ist noch immer hoch aktuell und gesellschaftlich
relevant. Aber wie Frieden darstellen ohne die den Kitsch der Düsseldorfer
Nazarener im 19. Jahrhundert oder der Stilmittel des propagandistisch
aufgeladenen sozialistischen Realismus u. a. in der DDR? Elend, Krieg und
Verderben, Not und Chaos künstlerisch darzustellen, scheint um ein Vielfaches
einfacher zu sein.
Laura Flöter hat da eine
interessante Lösung gefunden. Auf weißem hellen Hintergrund stellt sich für
mich zunächst ein Chaos dar. Meine Augen wissen gar nicht, wo sie den Blick festmachen
sollen. Ich muss schon genau hinsehen, am besten ganz nah herangehen, um die vielen
Alltagsdinge einzeln wahrzunehmen, die sie verarbeitet hat. Haptische Reise lösen
sie aus. Ich möchte sie anfassen, die Würfel und Münzen, die Trillerpfeife, den
Angelhaken und die Spielfiguren, die mit anderem da wüst durcheinander auf die
Leinwand gebracht und mit hellen, luftigen Farben übermalt sind. Der Designer Ursus
Wehrli hätte seine liebe Not, wollte er eines der Bilder von Laura Flöter in
einem seiner Kunst-Aufräumen-Bücher verwenden.
Und der Frieden, wo finden wir den in ihren Bildern? Er
schimmert hinter den Gesellschaftsspielen, die abgebildet und zitiert werden.
Backgammon, Schach, Mensch-ärgere-dich-nicht. Spiele, die oft genug in Zoff und
Eskalation ausarten, an denen Freundschaften und Familien zerbrechen können. Das
Aggressionspotential von Brettspielen wird gern verkannt. Und doch sind es Spiele,
mit denen man lernen kann, von Kind auf, dass Regeln, also letztlich Verträge,
zum Sich-Vertragen da sind. Ohne Regeln, ohne Verträge kann keine humane
Gesellschaft auf Dauer existieren. „Frieden“, vermittelt uns Laura Flöter,
„kann gelingen, auch im Konflikt – wir müssen nur endlich lernen, gute
Verlierer zu sein. Und gute Gewinner.“ Was wohl heißt: Regeln einzuhalten.
Vom Gebrochenen geht auch Inge
Heinicke-Baldauf aus, die mehrfach eine Ikone der Friedensbewegung
aufgreift, verändert, variiert. Die Friedenstaube. Gemalt hat sie Pablo
Picasso, Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs. In Paris wurde sie
1949 auf dem „Weltkongress der Kämpfer für den Frieden" zum Ursymbol der
Weltfriedensbewegung. In der DDR, die vor 30 Jahren implodierte, war sie
verbreiteter als Hammer und Sichel.
Dabei, Sie wissen das, ist das Bild der Taube biblischen
Ursprungs. Noah lässt sie aus der Arche fliegen, um zu erkunden, ob die
tödlichen Fluten der Sintflut versickert sind. Ob Menschen wieder in Frieden
und Ruhe leben können. Seine Hände, mit denen er sie loslässt oder bei ihrer
Rückkehr empfängt, sind unzählig dargestellt worden. Inge Heinicke-Baldauf
greift diese Szene in einem postkartengroßen Bild auf.
Unschwer erkennt man in den Linien den Umriss einer Taube. Sie
hat die Flügel ausgebreitet, um – die doppelte Linienführung lässt dies
vermuten – flatternd davon zu fliegen. Zwei Hände strecken sich nach ihr aus,
von unten rechts nach oben links, eine Dynamik anzeigend, die durch den
Farbverlauf von Dunkelmagenta bis ins helle, warme Gelb oder Ocker
unterstrichen wird. Lassen die Hände los oder greifen sie nach der
Friedenstaube? Ich entscheide mich für Letzteres. Wir jagen dem Frieden nach –
aber immer wieder entzieht er sich uns. Er ist vorerst nicht zu fassen.
Es ist die Doppeldeutigkeit in Inge Heinicke-Baldaufs Bildern,
die mich anspricht. Der Wunsch nach Frieden, und daneben die Zerbrechlichkeit
aller Friedenshoffnungen. Ein realistisch-pessimistischer Blick, wenn da nicht
die Taube wäre, die wie Phönix aus der Asche aufsteigt. Kräftige Linien, mit
flüssigem Kunststoff aufs Blatt gebracht, zeigen uns diese Szene.
Mehrere so gestaltete Entwürfe für das eben besprochene Bild
stellt Inge Heinicke-Baldauf aus, das als Cover für ein Arbeitsbuch zur
Jahreslosung ausgewählt wurde.
Völlig anders als die bisher Genannten arbeitet Ilse Petry-Ambrosius. Alle Bilder sind
mit Acryl auf Leinwand gemalt. Nur eins ist auf Leinwand gedruckt, eine auf dem
Tablet entstandene Zeichnung. „Stacheldraht überwinden“ heißt es, bezieht sich
auf das Flüchtlingsdrama unserer Tage. Es lebt vom Schwarz-weiß-Kontrast.
In den drei Bildern in der Apsis hat Ilse Petry-Ambrosius eine
Fülle von christlichen Symbolen verarbeitet. Schon seit den 80er Jahren ist Ilse
Petry-Ambrosius im Rahmen der Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss in der kirchlichen
Friedensbewegung zu Hause. Es verwundert also nicht, dass sie fast spielerisch
unterschiedlichste christliche Motive und Bilder miteinander verknüpft und mit
ihrer dezenten und dennoch expressiven Farbwahl die Hoffnung auf Frieden
vermitteln will. Eine Hoffnung, die Angesichts der Rückschläge in der
Versöhnungsarbeit vieler gesellschaftlicher Gruppen immer wieder zu erlahmen
droht. In ihrem Bild „Der Kelch“ ist rund um den Abendmahlskelch, dem Sinnbild
der Gemeinschaft, alles zerbrochen. Splitter ringsum. Einzig der Kelch ist heil
geblieben, goldumrandet vermittelt er noch Hoffnung.
Aber hier, in der Apsis, dominiert der positive Blick in die
Zukunft. Die Taube darf natürlich nicht fehlen. Auch nicht die wachsende
Knospe, die für den Erhalt der Schöpfung und damit für den Erhalt der
Lebensmöglichkeiten steht. Kettenglieder und eine Menschenkette stellen wie
der Kelch die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Zusammenhalts dar. Aber
auch deren Kraft und Wille, Disparates zusammenzuführen. Da nimmt es nicht
Wunder, dass, fast schon poetisch, ein Engel der Sonne entgegenfliegt. „Aus
eigener Erfahrung weiß ich, dass es sie gibt, die Friedensengel“, sagt Ilse
Petry-Ambrosius, „ . . . Menschen, die sich um andere kümmern. Umso wichtiger
ist mir, mit allen Sinnen darauf hinzuweisen, damit sie entdeckt werden
können.“
Die heutige Ausstellung ist auf Anregung des „Treffs Kunst und
Kirche“ in Meerbusch entstanden. Wir hatten an sich gehofft, dass auch in
anderen Stadtteilen im zu Ende gehenden Kirchenjahr noch einmal gemeinsam die
Jahreslosung Suche den Frieden und jage
ihm nach thematisiert werden könnte. Büderich, Strümp und Lank sind aber
andere Wege gegangen.
Der Treff Kunst und Kirche ist, wie der Name schon sagt, gedacht
als Gesprächs- und Ideenforum für an Kunst und Kirche Interessierte. Dazu
gehören auch Literaten und Musiker. Zwei, die sich hier besonders engagieren,
sind Marlies Blauth und Norbert Laufer. Mehrfach hat Norbert
Laufer Gedichte von Marlies Blauth als Inspirationsquelle für Kompositionen
genutzt. Zur Uraufführung kommen jetzt Gitarrenstücke über drei Gedichte, deren
Texte Ihnen ausliegen.
In „1000 Kraniche“ nimmt Marlies Blauth Bezug auf eine
japanische Legende, nach der derjenige, der 1000 Origami-Kraniche faltet, 1000
Jahre leben würde. Eine nach dem Atombombenangriff an Leukämie erkrankte
Schülerin faltete mehr als 1000 Kraniche in der Hoffnung, gesund oder
mindestens alt zu werden. Wurde sie nicht, aber sie ließ sich nicht entmutigen
und faltete hoffnungsvoll Papier-Kraniche bis zu ihrem Tod.
Ich bin gespannt, wie Norbert Laufer dies und die anderen beiden
Gedichte umsetzt. Er versteht seine Musik als „Fortsetzung klassischer Musik in
modernen Formen“. Freuen Sie sich mit mir auf das Gitarrenspiel von Andreas Stevens.
Falk Neefken