Dienstag, 12. November 2019

Suche Frieden ... – Einführung von Pfarrer i. R. Falk Neefken







Ilse Petry-Ambrosius: Frieden. Detail aus ihrem Triptychon





Werte Anwesende,

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Suche den Frieden und jage ihm nach heißt das Thema unserer aktuellen Ausstellung. Es ist die Jahreslosung der Evangelischen Kirche für das Kirchenjahr 2018/19. Wer hätte gedacht, dass dieses Kirchenjahr von weltweit so zerstörerischen kriegerischen Konflikten und gesellschaftlichen Verwerfungen gezeichnet wäre, wie es sich uns im Augenblick zeigt.

Prophetisch könnte man diese Losung, diese Parole für das kirchliche und christliche Handeln also bezeichnen. Die Aufforderung der Losung ist so notwendig wie bisher.

Unser Leben ist unfriedlicher geworden, weltweit und in der deutschen Gesellschaft. Brauner Sumpf und terroristische Ignoranz sind nur zwei von vielen unser Zusammenleben zersetzenden Strömungen, die zu auch aggressiven Zerwürfnissen geführt haben, bis hin zu politisch und antisemitisch motivierten Morden.

Es ist „umnachtete Zeit“, schreibt Marlies Blauth, „der boshafte (steht) nebenan und rührt die zukunft in seine töpfe“.

Das aber darf nicht von Erfolg gekrönt werden. Deshalb das Suche den Frieden und jage ihm nach aus dem Psalter des Alten Testaments, aus einer Lied- und Gebetssammlung, die weisheitliche und prophetische Elemente enthält, deren Metaphern und Bildern seit zweieinhalb Jahrtausenden Menschen ansprechen und bewegen, weil man sich in ihnen bis heute wiederfinden kann.

Suche den Frieden und jage ihm nach ist noch immer hoch aktuell und gesellschaftlich relevant. Aber wie Frieden darstellen ohne die den Kitsch der Düsseldorfer Nazarener im 19. Jahrhundert oder der Stilmittel des propagandistisch aufgeladenen sozialistischen Realismus u. a. in der DDR? Elend, Krieg und Verderben, Not und Chaos künstlerisch darzustellen, scheint um ein Vielfaches einfacher zu sein.

Laura Flöter hat da eine interessante Lösung gefunden. Auf weißem hellen Hintergrund stellt sich für mich zunächst ein Chaos dar. Meine Augen wissen gar nicht, wo sie den Blick festmachen sollen. Ich muss schon genau hinsehen, am besten ganz nah herangehen, um die vielen Alltagsdinge einzeln wahrzunehmen, die sie verarbeitet hat. Haptische Reise lösen sie aus. Ich möchte sie anfassen, die Würfel und Münzen, die Trillerpfeife, den Angelhaken und die Spielfiguren, die mit anderem da wüst durcheinander auf die Leinwand gebracht und mit hellen, luftigen Farben übermalt sind. Der Designer Ursus Wehrli hätte seine liebe Not, wollte er eines der Bilder von Laura Flöter in einem seiner Kunst-Aufräumen-Bücher verwenden.

Und der Frieden, wo finden wir den in ihren Bildern? Er schimmert hinter den Gesellschaftsspielen, die abgebildet und zitiert werden. Backgammon, Schach, Mensch-ärgere-dich-nicht. Spiele, die oft genug in Zoff und Eskalation ausarten, an denen Freundschaften und Familien zerbrechen können. Das Aggressionspotential von Brettspielen wird gern verkannt. Und doch sind es Spiele, mit denen man lernen kann, von Kind auf, dass Regeln, also letztlich Verträge, zum Sich-Vertragen da sind. Ohne Regeln, ohne Verträge kann keine humane Gesellschaft auf Dauer existieren. „Frieden“, vermittelt uns Laura Flöter, „kann gelingen, auch im Konflikt – wir müssen nur endlich lernen, gute Verlierer zu sein. Und gute Gewinner.“ Was wohl heißt: Regeln einzuhalten.

Vom Gebrochenen geht auch Inge Heinicke-Baldauf aus, die mehrfach eine Ikone der Friedensbewegung aufgreift, verändert, variiert. Die Friedenstaube. Gemalt hat sie Pablo Picasso, Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs. In Paris wurde sie 1949 auf dem „Weltkongress der Kämpfer für den Frieden" zum Ursymbol der Weltfriedensbewegung. In der DDR, die vor 30 Jahren implodierte, war sie verbreiteter als Hammer und Sichel.

Dabei, Sie wissen das, ist das Bild der Taube biblischen Ursprungs. Noah lässt sie aus der Arche fliegen, um zu erkunden, ob die tödlichen Fluten der Sintflut versickert sind. Ob Menschen wieder in Frieden und Ruhe leben können. Seine Hände, mit denen er sie loslässt oder bei ihrer Rückkehr empfängt, sind unzählig dargestellt worden. Inge Heinicke-Baldauf greift diese Szene in einem postkartengroßen Bild auf.

Unschwer erkennt man in den Linien den Umriss einer Taube. Sie hat die Flügel ausgebreitet, um – die doppelte Linienführung lässt dies vermuten – flatternd davon zu fliegen. Zwei Hände strecken sich nach ihr aus, von unten rechts nach oben links, eine Dynamik anzeigend, die durch den Farbverlauf von Dunkelmagenta bis ins helle, warme Gelb oder Ocker unterstrichen wird. Lassen die Hände los oder greifen sie nach der Friedenstaube? Ich entscheide mich für Letzteres. Wir jagen dem Frieden nach – aber immer wieder entzieht er sich uns. Er ist vorerst nicht zu fassen.

Es ist die Doppeldeutigkeit in Inge Heinicke-Baldaufs Bildern, die mich anspricht. Der Wunsch nach Frieden, und daneben die Zerbrechlichkeit aller Friedenshoffnungen. Ein realistisch-pessimistischer Blick, wenn da nicht die Taube wäre, die wie Phönix aus der Asche aufsteigt. Kräftige Linien, mit flüssigem Kunststoff aufs Blatt gebracht, zeigen uns diese Szene.

Mehrere so gestaltete Entwürfe für das eben besprochene Bild stellt Inge Heinicke-Baldauf aus, das als Cover für ein Arbeitsbuch zur Jahreslosung ausgewählt wurde.

Völlig anders als die bisher Genannten arbeitet Ilse Petry-Ambrosius. Alle Bilder sind mit Acryl auf Leinwand gemalt. Nur eins ist auf Leinwand gedruckt, eine auf dem Tablet entstandene Zeichnung. „Stacheldraht überwinden“ heißt es, bezieht sich auf das Flüchtlingsdrama unserer Tage. Es lebt vom Schwarz-weiß-Kontrast.

In den drei Bildern in der Apsis hat Ilse Petry-Ambrosius eine Fülle von christlichen Symbolen verarbeitet. Schon seit den 80er Jahren ist Ilse Petry-Ambrosius im Rahmen der Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss in der kirchlichen Friedensbewegung zu Hause. Es verwundert also nicht, dass sie fast spielerisch unterschiedlichste christliche Motive und Bilder miteinander verknüpft und mit ihrer dezenten und dennoch expressiven Farbwahl die Hoffnung auf Frieden vermitteln will. Eine Hoffnung, die Angesichts der Rückschläge in der Versöhnungsarbeit vieler gesellschaftlicher Gruppen immer wieder zu erlahmen droht. In ihrem Bild „Der Kelch“ ist rund um den Abendmahlskelch, dem Sinnbild der Gemeinschaft, alles zerbrochen. Splitter ringsum. Einzig der Kelch ist heil geblieben, goldumrandet vermittelt er noch Hoffnung.

Aber hier, in der Apsis, dominiert der positive Blick in die Zukunft. Die Taube darf natürlich nicht fehlen. Auch nicht die wachsende Knospe, die für den Erhalt der Schöpfung und damit für den Erhalt der Lebensmöglichkeiten steht. Kettenglieder und eine Menschen­kette stellen wie der Kelch die Notwendigkeit eines gesell­schaftlichen Zusammenhalts dar. Aber auch deren Kraft und Wille, Disparates zusammenzuführen. Da nimmt es nicht Wunder, dass, fast schon poetisch, ein Engel der Sonne entgegenfliegt. „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es sie gibt, die Friedensengel“, sagt Ilse Petry-Ambrosius, „ . . . Menschen, die sich um andere kümmern. Umso wichtiger ist mir, mit allen Sinnen darauf hinzuweisen, damit sie entdeckt werden können.“

Die heutige Ausstellung ist auf Anregung des „Treffs Kunst und Kirche“ in Meerbusch entstanden. Wir hatten an sich gehofft, dass auch in anderen Stadtteilen im zu Ende gehenden Kirchenjahr noch einmal gemeinsam die Jahreslosung Suche den Frieden und jage ihm nach thematisiert werden könnte. Büderich, Strümp und Lank sind aber andere Wege gegangen.

Der Treff Kunst und Kirche ist, wie der Name schon sagt, gedacht als Gesprächs- und Ideenforum für an Kunst und Kirche Interessierte. Dazu gehören auch Literaten und Musiker. Zwei, die sich hier besonders engagieren, sind Marlies Blauth und Norbert Laufer. Mehrfach hat Norbert Laufer Gedichte von Marlies Blauth als Inspirationsquelle für Kompositionen genutzt. Zur Uraufführung kommen jetzt Gitarrenstücke über drei Gedichte, deren Texte Ihnen ausliegen.

In „1000 Kraniche“ nimmt Marlies Blauth Bezug auf eine japanische Legende, nach der derjenige, der 1000 Origami-Kraniche faltet, 1000 Jahre leben würde. Eine nach dem Atombombenangriff an Leukämie erkrankte Schülerin faltete mehr als 1000 Kraniche in der Hoffnung, gesund oder mindestens alt zu werden. Wurde sie nicht, aber sie ließ sich nicht entmutigen und faltete hoffnungsvoll Papier-Kraniche bis zu ihrem Tod.

Ich bin gespannt, wie Norbert Laufer dies und die anderen beiden Gedichte umsetzt. Er versteht seine Musik als „Fortsetzung klassischer Musik in modernen Formen“. Freuen Sie sich mit mir auf das Gitarrenspiel von Andreas Stevens.


Falk Neefken