Einführung zur Ausstellung von Nurten Kocaman
„Mein Herz ist mit
Wärme erfüllt“
Die Farben strahlen
mir und Ihnen entgegen, mal wohl geordnet, mal chaotisch erscheinend und doch
zu einem Gesamtbild geordnet. „Ich habe meine Gefühle in Farben verpackt“
schreibt Nurten Kocaman in einem ihrer Gedichte. Streifen für Streifen lässt
sie kleine farbige Stoffreste durch ihre Finger gleiten, wenn sie ein Kunstwerk
entwirft. In ihrem Atelier greift sie in eine Box hinein und zeigt die
Reststoffe, die ohne Glanz, krumpelig, wirr, ohne weitere Bedeutung darin
liegen. „Für dich ist es Müll, für mich ist es der Grundstock eines neuen Werkes“,
sagt sie.
Am Anfang trifft sie
eine Auswahl an Stoffen und Farben, die zusammenpassen könnten.
Nebeneinandergelegt, nach ihren Harmonien, ihren Übergängen befragt, entstehen
im Prozess neue Bilder und Formen ihrer Kunstwerke. Während der Arbeit kann
sich das noch einmal verändern, denn Nurten – so scheint es mir – geht in einen
Dialog mit ihren Kunstwerken, ihrer Seele, manchmal auch mit der großen
transformierenden Schöpfungskraft, mit Gott, mit Allah. So sind Muster in
den Farben zu entdecken, die den Namen Gottes kalligraphisch aufgreifen, nicht
unbedingt sofort lesbar, weder für uns noch für Kalligraphie-Geübte. Der
kalligraphische Schriftzug für Allah ist nämlich hier und da gespiegelt zu
sehen. Nurten Kocaman spielt mit diesem Bezug, lässt das Werk offen für ihren
und unseren Glauben.
Wichtig ist ihr das
Bewahren der Schöpfung, das Aufgreifen von dem was da ist, was sich uns
anbietet und doch immer wieder neu zusammengestellt werden kann, so dass die
Vielfalt des Lebens, der Individuen, und unserer je eigenen Lebensgeschichte
miteinander verwoben werden. Sie erschafft textile Kunstwerke, in denen
handwerkliche Kunst, Ornamentik aus ihrer Herkunftsstadt Küthaya und
Musterstoffe von Krawatten aus Krefeld, ihrem Lebensort, sowie universelle
Seelenbilder zusammenfließen.
Was möglicherweise
zunächst durcheinander erscheint, will die in sich stimmigen, harmonischen
Farben zeigen und das Herz mit Tatkraft, Freude und Frieden erfüllen. Etwas,
das Sie möglicherweise auch von sich selbst kennen: einzelne Fäden des Lebens laufen
nebeneinander her, manchmal kreuzen sie sich oder aber verwurschteln sich in
einem Knoten. Wir empfinden Chaos, erkennen nicht, wo es langgehen soll, fühlen
uns zerfasert. Nurten Kocaman selbst erlebt, wie bei jeder Schicht, die sie
zusammennäht, ihre Seele Kraft gewinnt, Wunden des Lebens Heilung erfahren und
Traurigkeit überwunden werden kann. Es ist ein langer, langsamer Prozess, so
wie wir einen langen Atem und Geduld brauchen in all den Herausforderungen
unserer Zeit.
Viele Nadelstiche,
mal per Hand, mal mit der Nähmaschine sind notwendig ein Kunstwerk Schicht für
Schicht entstehen zu lassen.
Und das Besondere an manchen ihrer Werke: sie lassen sich je nach Kontext,
angepasst an die jeweilige Situation vor Ort anders zusammensetzen. Die
einzelnen Teile können variabel verknüpft werden. Vielleicht sehen wir dann nur
einen Teil, aber dieser wirkt dennoch vollständig, als solle er so sein. Die
partielle Auswahl bildet ebenfalls ein abgerundetes in sich harmonisch
stimmiges Bild.
Möglicherweise ist
dies ein Anreiz über unsere christliche und muslimischen Glaubensweisen ähnlich
zu denken: vielleicht sind es zwei partielle Teile der einen großen
Schöpfungskraft. Unsere Glaubensweisen sind jeweils in sich stimmig, abgerundet
und harmonisch. Im interreligiösen Gespräch können wir sie zusammenknüpfen, sie
können ein Gesamtkunstwerk bilden, jede Glaubensweise bringt ihre Farben, ihre
Muster mit. Sie bilden verschiedenen Facetten der Schöpfung Gottes, der
Schöpfung Allahs. Viele von Ihnen wissen wahrscheinlich, dass Allah nicht nur
die Bezeichnung für Gott im Islam ist, sondern dass arabische Christ*innen
ebenfalls von Allah reden!
Menschen, die in den
interreligiösen Dialog gehen, schaffen Verknüpfungen von einem Gotteswerk zum
anderen, etwas, das nur per Hand, in mühsamer, aber sehr kreativer Weise
geschehen kann. Die Ausstellung von Nurten Kocaman hier in der Osterather
Kirche ist möglicherweise ein solch kleiner Brücken-Stich. Wie wirkt auf sie
Nurten Kocamans Kunst in der Architektur der Kirche? Wie sehen Sie ihre
Kunstwerke, was entdecken Sie aus ihrer Sehweise heraus?
Nurten will mit ihren Werken dazu anregen, immer wieder etwas Neues zu
entdecken. Kunst ist nie nur das, was gezeigt wird. Kunst entsteht im
Zusammenspiel von Schaffen, Darstellen, Zeigen und Sehen, Interpretieren und
Wahrnehmen.
Nurten Kocaman
selbst hat sich immer als eine zwischen den Welten hin und her Gerissene oder
aber durch die Kunst als eine zwischen den Welten Wandernde erlebt. Ihre
Kreativität überbrückt, schafft Verbindungen, sucht nach Harmonien, die aus
einzelnen losen Teilen sich entwickeln. Manche ihrer Arbeiten erinnern an
Patchworkarbeiten, an Quilts. Dabei möchte sie auch die Gemeinschaft fördern
und leitet zu Kunstwerken an, die in gemeinsamer Arbeit entstehen. Bei den
Frauen*Mittagsimpulsen im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum haben wir einmal unter
ihrer Leitung aus alten, bunten Teebeutelhüllen Seerosen gefaltet und geklebt.
Aus den einzelnen Seerosenblüten entstand dann durch geschicktes Anordnen auf
einer weißen Fläche ein kleines Kunstwerk, das nun in
Kirchenkreisräumlichkeiten in der Seyffardtstraße hängt. Auf diese Weise kann
Nachhaltigkeit, Wiederverwertung von Reststoffen mit Kreativität und
künstlerischer Ästhetik eingeübt werden.
In einer anderen
Gruppe entstand ein Gemeinschaftswerk mit textilen Seerosen. Blatt für Blatt,
Blüte für Blüte von einer anderen Person genäht. Mit zäher Energie, Fleiß und
einem Herz, das mit Liebe und Wärme erfüllt ist, wendet Nurten Kocaman sich
anderen zu, stellt ihre Kompetenz in eine Gemeinschaft und ergänzt ihre eigenen
Arbeiten mit Interaktivität in Gemeinschaftsarbeiten.
Und wenn andere die Resultate davon sehen, öffnet sich so manches Herz. „Mein Herz geht auf“ äußerte spontan die Krefelder Integrationsbeauftragte, Silvia Fiebig, als sie das Atelier von Nurten in der Wallstraße 14 in Krefeld betrat und sich umschaute. Ein Atelier übrigens in den vormaligen Räumen der Galerie Fochem, die vielleicht einige von Ihnen kennen. Ein Ort also, an dem verschiedene Kunst-Linien, Künstler*innen und ihre Lebens-Fäden sich präsentierten und kreuzten. Nun setzt Nurten Kocaman dies neu und anders fort. Ihre Ausstellung hier in der Osterather Kirche wirft ein besonderes Licht auf ihre Werke, die mal an der Wand hängen und voll ausgefüllte Stoff-Flächen mit filigranen Mustern oder auch aufwendig applizierten Perlen zeigen. Oder aber mit Stoffstreifen und Fäden hinter Glas Bilder zeichnen, wie Marlies Blauth es in der Einladung beschrieb. Dies Bilder sind durscheinend, transparent für Licht und Wärme, wie ein Gewebe offen für unsere je eigenen Empfindungen. Ich denke, es ist im Sinne der Künstlerin und der Gemeinde miteinander ins Gespräch zu kommen, einander mitzuteilen, was wir jeweils sehen, welche Farben uns berühren oder welche Dynamik Nurtens Kunst in uns in Bewegung bringt.
Zum Abschluss der Einführung lese ich die deutsche Übersetzung eines der Gedichte von Nurten:
Alle meine Sehnsüchte und Seufzer
All meine Freude und mein Leid,
von Herzen kommend
zur Spitze meiner Nadel fließend
in die Falten
die feinen Berührungen
Das bist du,
der mich zu ‚nurStil‘ macht“
(während der Vernissage wurde der Text auch von der Künstlerin in türkischer Sprache vorgetragen)
Katrin Meinhard
Frauenreferentin und Synodalbeauftragte für das christlich-islamische Gespräch