Zerbrechliche Könige – Installation von
Günther Thomas
Liebe Gemeinde,
aus dem Holz der Krippe ist das Holz des Kreuzes
geworden. Auf Holz, auf dem Jesus damals lag, hängt er jetzt.
In unserer Apsis ist auch Holz zu sehen. Zwar
keine Kreuze, aber drei Plastiken, die unschwer an das Geschehen auf Golgatha
erinnern. Drei Baumstämme, von denen jedwede Rinde entfernt wurde, aus denen –
für uns nicht sichtbar – alles Morsche mit einem Hochdruckreiniger
herausgepresst wurde. Nichts, nichts Lebendiges ist an diesem Holz noch
vorhanden, auch kein Käfer oder Wurm. Nur Totholz ist zu sehen. Deutlicher kann
man nicht ausdrücken, dass hier Leben abrupt endete.
Wir sehen in der Apsis keinen Christus am Kreuz.
Aber die drei Gestalten tragen Rührbesen als Kronen. Wird hier die Verspottung
Jesu aufgegriffen – INRI, Jesus Nazarenus Rex Judaeorum, Jesus König der Juden?
Oder wird hier eine feinsinnige Kritik geübt an den Versuchen der Kirche, den
leidenden und ohnmächtigen Heiland immer wieder als gekrönten Weltenherrscher
mit Krone, Reichsapfel und Richtschwert darzustellen? Weil sie, die Kirche,
sich immer wieder stärker mit den Herrschenden verbündete denn solidarisch zu
sein mit den Machtlosen?
Macht- und Einflusslosigkeit sind ja auch schwer
auszuhalten. Und es sind nur wenige, die wie Franz von Assisi das leben konnten
und heute noch leben.
Jesus Christus herrscht als König, alles ist ihm
untertänig singen wir zu Himmelfahrt ganz gern, aber hier, auf Golgatha, nur
das Nichts. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? ruft der
Sterbende betend am Kreuz. Und hängt
sich so an den, der ihn hängen lässt zwischen Himmel und Erde.
Die Kreuzigung ist ein Geschehen der totalen
Verlassenheit. Jesu Jünger sind nicht in der Nähe, seine Mitbürger verspottet
ihn, lediglich ein paar Frauen beobachten das Geschehen aus der Ferne.
Das Kreuz der Römer, aufgerichtet von den Herren
der Welt. Ob sie nun Pilatus oder
Herodes heißen, Hitler oder Stalin, Assad oder was weiß ich, wie sie bis heute
heißen. Ihre Kreuze ist sind Symbol der Diesseitigkeit. Das Symbol der
schrecklichen Wirklichkeit unserer Welt.
Das Kreuz auf Golgatha, es ist Sinnbild unserer
blutigen Wirklichkeit. Was wir ggf. herabspielen, nicht mehr wahrnehmen,
vielleicht auch erschüttert oder gleichgültig zur Tagesordnung übergehend, das
hat er erlitten. Warum nur? Er hätte doch sicher Chancen der Vermeidung gehabt.
Er hätte sich sicher seinem Schicksal in Jerusalem entziehen können. Warum hat
er das nicht getan?
Als Theologe könnte ich mit fixen Worten
verkündigen, dass Jesus sich freiwillig hingegeben hat. Aus Liebe zu den
Menschen. Im Gehorsam gegenüber Gott. Und als Gemeinde sind wir gewohnt, dies
in Liedern zu besingen. Aber trifft es das Geschehen auf Golgatha?
Sein Ziel, wie wir heute zu sagen pflegen,
sein Ziel war, einem jeden von uns zu sagen: Das Leben, das du hast, ist ein Geschenk Gottes an dich. Es ist ein kostbares Geschenk, das du nutzen darfst. Angstfrei sollst du glücklich werden. In Dankbarkeit sollt du Güte lernen und Güte leben.
sein Ziel war, einem jeden von uns zu sagen: Das Leben, das du hast, ist ein Geschenk Gottes an dich. Es ist ein kostbares Geschenk, das du nutzen darfst. Angstfrei sollst du glücklich werden. In Dankbarkeit sollt du Güte lernen und Güte leben.
Alles, was wir über sein Leben wissen,
illustriert uns diese Botschaft. Deshalb ist es für uns so wichtig, diese
Jesus-Geschichten und Jesus-Worte immer wieder zu hören, zu lesen, zu
buchstabieren. Im Gottesdienst, im Unterricht, bei der eigenen Bibellektüre.
Sie um Himmels willen ja nicht zu vergessen.
All diese Geschichten zeigen uns einen Jesus,
der weit weg ist von Qual und Quälen. Der weit weg ist von Gewalt und Sadismus.
In all seinen Geschichten versichert er uns
immer wieder: Du hast es nicht nötig, vor irgend etwas in der Welt eine solche
Angst zu entwickeln, dass du dein eigenes Wesen, das Werk Gottes, verbiegen
oder verlügen müsstest. Du hast es nicht nötig, dir und deinem Gott untreu zu
werden.
Habe Vertrauen in diese Grundlage deines Lebens.
Dann kannst du das, was dich beengt, quält, verbiegt, was dich belastet und
niederdrückt – das kannst du dann verlassen und dich der Weitherzigkeit deines
Lebens hingeben. Gott ist dabei – Gott ist bei dir!
Er redete nicht nur davon, er lebte es auch vor.
Und eckte damit an. Denn solche Freiheit, solche Unbefangenheit, solcher Mut
entgegen allen Konventionen und entgegen allen bisher als gut empfundenen
Regelungen – das alles ertrug man damals nicht und ertragen wir letztlich auch
heute nicht.
Seinem Vertrauen in Gott entsprach ein zu großes
Vertrauen in seine Mitmenschen. Die Ordnung der Welt durcheinander zu bringen,
das war damals gefährlich und ist noch heute gefährlich. Das kann zum Tode
führen.
Deshalb, liebe Gemeinde, ist das Kreuz kein
Zeichen der Ehre. Deshalb ist das Kreuz auch kein Zeichen der Verehrung. Das
Kreuz ist vielmehr ein Zeichen der Zusammenballung des Gegenmenschlichen und
des Gegengöttlichen. Und wenn wir am Karfreitag, heute also, etwas zu gedenken
haben, dann doch einzig und allein, wie wir das Kreuz in aller Zukunft
vermeiden, abschaffen, beseitigen, ja unnötig machen können in jeder Form
seiner Erscheinung.
Darum, und nur darum gehört das Kreuz für mich
in jedes christliche Gotteshaus. Nicht als Denkmal, sondern als Mahnmal. Als
permanente Mahnung, es ernst zu machen mit der Abschaffung der Kreuze auf
unserer Welt.
Einmal, so hoffen wir, einmal kommt die Zeit, wo
wir kein Kreuz mehr brauchen in unseren Kirchen, weil es keine Kreuze mehr auf
Erden gibt. Ob es dazu kommt, das liegt auch an uns.
Denn auch unter uns heutigen gibt es Pilatusse,
die nicht töten wollen, aber meinen, töten zu müssen. Das als Kollateralschaden
ansehen. Wo gehobelt wird fallen halt Späne, heißt es. Die Holzspäne am Fuß der
drei Gestalten in der Apsis könnten als Zeichen dafür gedeutet werden, dass
nicht nur die drei auf Golgatha für nicht wert erachtet wurden.
Denn auch unter uns heutigen gibt es Kaiphasse,
die nichts direkt gegen diese oder jene haben, aber dennoch meinen, sie nicht
länger aushalten zu müssen.
Denn auch unter uns heutigen gibt es Handlanger
der da oben, die meinen, sie bekämen schon die richtigen Anweisungen.
Denn auch unter uns heutigen gibt es bestallte
und selbst ernannte Richter, die die Wahrheit nach ihrem Gutdünken beugen.
Aber, und das ist mir besonders wichtig:
Aber auch unter uns heutigen gibt es Menschen
von der Güte jener Unbekannten, die Jesus mit kostbarem Öl salbte.
Auch unter uns heutigen gibt es Menschen von der
Art des Josef von Arimathia, der sich schließlich doch entschloss, anders als
die herrschende Meinung zu handeln. Der dafür sorgte, dass Jesus nicht wie ein
Verbrecher verscharrt, sondern in Würde beerdigt wurde.
Auch unter uns heutigen gibt es Menschen von der
Qualität der Frauen, die Jesus in seiner letzten Stunde ebenso wenig allein
lassen wollten wie zu seinen Lebzeiten. Die sich so nahe wie möglich ans Kreuz
heranwagten.
Auch unter uns heutigen gibt es Menschen wie die
Frau des Pilatus, die ihrem Traum vertraute und ihren Mann warnte, Jesus zu
verurteilen und zu töten.
Doch wo in unserer pragmatischen Welt hört man
schon auf Träume? Und wie viel eigene Träume muss man getötet haben, um über
Leichen gehen zu können? Um über das hinweg zu gehen, was Menschen in ihrem
Innersten bewegt?
Wenn wir Menschen wie die Frauen aus dem Umkreis
Jesu nicht mehr zum Schweigen brächten,
wenn wir unsere Träume nicht mehr töten, sondern
leben würden,
wenn wir uns selbst und andere im Sinne Jesu
wahrnehmen würden,
dann, liebe Gemeinde,
dann bliebe Karfreitag, dann bliebe das Kreuz
nicht unser Schicksal.
Deshalb verbeugen wir uns zwar nicht vor dem
Schandpfahl des Kreuzes, wohl aber vor dem Gekreuzigten. Vor dem, der uns unsere
Lebensmöglichkeiten vorlebte. Bis zu seinem Tod, auf dass wir seinem Beispiel
folgen und leben können.
Amen.
Pfarrer i. R. Falk Neefken