Montag, 24. April 2017

Günter Thomas: Zerbrechliche Könige







Zerbrechliche Könige


Im Zentrum der Ausstellung steht ein Ensemble an Skulpturen mit einem Materialmix aus Holz (Kirschbaum, Pflaume und Eibe) und Metall 
(Höhe zwischen 1,80 und 4,50 m). Sie spielen auf mehreren Ebenen mit einer grundlegenden Spannung: Mit der Vorstellung des Königs verbinden sich gemeinhin Ideen von Macht, Herrschaft und Schönheit. Dagegen sind die Skulpturen eher gewunden und zeigen die Spuren ihrer Bearbeitung. Auf den ersten Blick wirken sie zerbrechlich und verletzlich, ja beschädigt. Auf den zweiten Blick zeigen sie aber in ihrer vermeintlich rohen Materialität eine kraftvolle Spannung und eine ganz eigenwillige Präsenz. Das Holz zeigt in der Zerbrechlichkeit eine eigene Schönheit. Speziell bei den zwei kleineren Stelen in der Apsis wird ein Spiel zwischen der Beugung und Biegung als Zerbrechlichkeit und zugleich als Leichtigkeit der Bewegung sichtbar. Tanzen die beiden kleineren Figuren?
Die verschiedenen Stelen spielen diese Spannung verschieden durch. Während eine Stele mit Rädern auf einen Streitwagen anspielt – aber den König ohne Pferd ‚stehen läßt‘, bietet eine andere einen innerlich ausgezehrten, ‚verrotteten‘ Korpus, der doch zugleich schon wieder grazil anmutet. Eine Wandinstallation eines Königspaares spielt mit Zerfall in Gestalt von Rost und gleichzeitiger Schwere und Würde. Die Stelen in der Apsis variieren die Spannung, indem mit Sägespänen und Holzabschnitten das ‚Gemachtsein‘ des Objektes vergegenwärtigt wird.

Eine Bemerkung zu den Köpfen der Stelen in der Apsis: Es sind ganz einfach Rührköpfe einer alten Bäckerei. Sie zitieren auf ihre Weise die Ballettfiguren Oskar Schlemmers. Aber speziell der Kopf der hohen Figur könnte auch eine Welt sein, ein Globus. Oder ist es ein Zeichen von Zerbrechlichkeit als Transparenz?






Ein durchgehendes Motiv ist die verfremdende Verwendung des königlichen Motivs des Goldes. Dabei kommt den goldenen Rettungsdecken im Kirchenraum eine besondere Aufgabe zu: Sie öffnen den Raum der Kunst hinein in den Raum der Gemeinde – bis hinaus zur Garderobe am Eingang. Das Gold, die Würde und die „Rettung“ der Rettungsdecke bewegt sich hin zur Gemeinde – als Angebot, den goldenen Umhang einfach von dem Kleiderbügel zu nehmen und mitzunehmen.

Ist dies religiöse Kunst? Die erste Antwort ist: Nein. Die Spannung aus königlicher Macht und Zerbrechlichkeit gehört zu den Grundthemen des Menschseins. Die zweite Antwort ist: Ja, die Arbeiten werden durch den zeitlichen Zusammenhang mit der Passionszeit und Ostern und in dem besonderen Ort in einer Kirche Variationen zu der Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit des Gottessohnes, der der menschliche Jesus aus Nazareth bleibt. Natürlich wird mit den drei Figuren die Kreuzesszene zitiert, mit der Anordnung der Figuren in der Apsis auch zugleich wieder dementiert. Wichtig ist mir, dass die Figuren alle eine eigene Art von Präsenz und Würde haben, in ihrer Zerbrechlichkeit auch kraftvoll sind. Mit den goldenen ‚Mänteln‘ kommt die Rettung und Würdigung unzweideutig zu den Menschen – nicht als Zwang, sondern als Angebot. Könnte das Gold der Rettungsdecken ein erster Hinweis auf die Auferstehung sein?

Konzeptionell bieten die Arbeiten eine Weiterentwicklung der Tradition der objet trouvé. Allerdings gehen die ‚Fundstücke‘ in weitergehende Arrangements ein, die sowohl Abstraktionen vornehmen als auch eigenwillige Materialisierungen. Die Sägeabschnitte erinnern an den Verarbeitungsprozess – und verbinden so a) die reale  Verarbeitung, b) das Entstehen der Zerbrechlichkeit und c) für den Zuschauer auch das Werden in der Zeit (wir werden durch unsere Geschichte).

Mit Blick auf die Interaktion mit den Besuchern und Zuschauern gehen die Arbeiten auf einen eigenen Weg. Gegenläufig zu künstlerischen Arbeiten, die die Betrachter entweder mehr oder weniger verstört oder ‚verzweifelt‘ nach einer Bedeutung suchen lassen oder die umgekehrt einfach spontan als ‚schön‘ genossen werden können, bieten die Objekte in ihrer Materialität eine erste Zugänglichkeit. Die erste Gewissheit („Ich weiß, was ich sehe“) weicht dann aber zunehmend einer Irritation, Ungewissheit und Offenheit.








Im Nebenraum werden Holzdrucke ausgestellt. Ihre Besonderheit besteht darin, dass (mit verschiedenen Sägen) bearbeitete Holzblöcke als Druckstock dienen. Das Objekt besteht dann aus zwei Teilen – einem Druckstock und einem einzigen Druck, die miteinander im Gespräch sind. Dabei ist es der flache und ‚leichte‘ Druck, der einen imaginierten Raum eröffnet, während der massive Holzblock einerseits mit seiner Materialität und eigenen Räumlichkeit wirkt und doch zugleich ‚verletzt‘ und ‚beschädigt‘ ist. Es ist aber just diese Verletzlichkeit und Beschädigung, die den Druck ermöglicht und eine eigene eigenwillige Kreativität freisetzt.

Aber am Ende, am Ausgang, dann doch das Gold, wenngleich leicht und dünn, aber dennoch glänzend – und im echten Notfall, rettend.




Prof. Dr. Dr. Günter Thomas /Stuttgart


Fotos: Andreas Blauth