Silja Meier, Schattenspender Wald
Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu unserer Ausstellung mit
einem Gedicht von Christian Morgenstern:
Farbenglück
Ist nicht
dies das höchste Farbenglück:
Birkenlaub in Himmelblau gewirkt?
Doch schon winkt ein graublau Felsenstück,
dunklen Epheus* sprunghaft überzirkt.
Und schon sinkt mein Blick in grüne Wiesen
und in Wasser und in weissen Dunst -
und ich weiss nicht, wem von allen diesen
schenk' ich meine Gunst und meine Kunst ...
Birkenlaub in Himmelblau gewirkt?
Doch schon winkt ein graublau Felsenstück,
dunklen Epheus* sprunghaft überzirkt.
Und schon sinkt mein Blick in grüne Wiesen
und in Wasser und in weissen Dunst -
und ich weiss nicht, wem von allen diesen
schenk' ich meine Gunst und meine Kunst ...
*Efeu(s)
Gisela Fritze, Sonnenblume
Vor genau einer Woche war der längste Tag des Jahres, gerade
haben die großen Ferien begonnen: Es ist SOMMER!
Und wir denken an weite Natur, Schatten spendende Bäume, Urlaubsgegenden,
den Geschmack frisch geernteter Früchte, Kindheitserinnerungen, Sonnenfarben –
und Wasser.
Sonnenfarben und Wasser: Wir sehen hier eine Ausstellung mit
Aquarellbildern. Aqua heißt ja Wasser, und die mit Wasser vermalten Farben
bestehen unter anderem aus allerfeinsten Pigmenten.
Die typische Technik der Aquarellmalerei ist lasierend, das
heißt: nicht deckend, sondern transparent. Man arbeitet sich vom Hellen zum
Dunklen vor. Die hellste Farbe ist immer die des Malgrundes, meistens Papier;
eine Aufhellung ist also nicht möglich. Dunklere Töne entstehen meist aus
mehreren Farbschichten, deren feine Nuancen ihnen Lebendigkeit, Tiefe und
Leuchtkraft verleihen.
Die Aquarellmalerei ist eine sehr alte Maltechnik, es gibt Illustrationen
auf Papyrus, die etwa 4000 Jahre alt sind. Zeitweise setzte man das Aquarell
nur kolorierend ein, bis Albrecht Dürer dessen Eigenständigkeit entdeckte und
herausarbeitete.
Das wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Papierherstellung,
die sich im 15. Jh. etablierte und für geeignete Qualität sorgte.
Aquarellpapier muss nämlich sowohl saugfähig sein als auch von einer gewissen
Festigkeit. Es muss einen hohen Wasseranteil, also eine starke Verdünnung der
Farben „aushalten“, denn nur so entstehen die typischen Aquarellstrukturen.
Manchmal wird das Papier auch vorher angefeuchtet, was
beispielsweise eine besondere Art der Unschärfe hervorruft. Die
Kontrollierbarkeit der Maltechnik ist also hier und da unterschiedlich, was das
Arbeiten zwischen akribischer Planung und Improvisation möglich macht. Ich
spreche dann gern von „gezähmtem Zufall“.
Gisela Fritze,
Geestlandschaft, Aquarell und Tusche
Natürlich kann das Aquarell mit anderen Techniken kombiniert
werden, allem voran der Zeichnung (mit Bleistift oder Tusche), oder auch mit
anderen Materialien, z. B. Wachs. Ferner kann man die Farbe auf verschiedene
Art auftragen, beispielsweise in Sprenkeln.
Jeder Künstler, jede Künstlerin entwickelt im Laufe der Zeit
individuelle Verfahren.
Gisela Fritze, Steilküste auf
Rügen, Aquarell mit Lava
Und damit schaue ich auf unsere beiden Künstlerinnen: Gisela Fritze und Silja Meier.
Ich hatte mir für uns eine Sommer-Ausstellung wie diese
vorgestellt – und fand die beiden in der Künstlervereinigung Kunst.Neuss e. V.
In einem Zeitungsartikel im Zusammenhang mit ihrer ersten
Ausstellung, die tatsächlich erst ein paar Jahre zurück liegt, wird Gisela
Fritze als „Spätberufene“ bezeichnet. Ich mag diese Formulierung nicht
besonders, denn eine Biografie ist so wie sie ist und hinterlässt ihre
individuellen Spuren und Pfade.
Sowohl Gisela Fritze als auch Silja Meier haben schon früh
gemalt, entschieden sich dann aber für berufliche Ausbildungen außerhalb der
Kunst, wenngleich es jeweils gestalterische Berufe waren: Gisela Fritze wurde
Schneiderin, Silja Meier Lithografin und Mediengestalterin.
Die Malerei ließ aber weder die eine noch die andere los, und
heute arbeiten beide eben doch konsequenterweise künstlerisch. Vielleicht sind
es also eher zwei „Frühberufene“?
Mich begeistert ja immer die Leichtigkeit eines Aquarells, die
so treffend einen schönen Moment in seiner Flüchtigkeit darstellen kann.
Wir sehen hier eine Gegenständlichkeit, die hier und da in
Farbstrukturen aufgelöst ist, so, wie die Erinnerung sich zum Teil
zusammenfügt, zum Teil verfliegt. Festgehalten ist ein Zusammenspiel der Formen
und Farben, aber präzise genug, dass wir das Dargestellte benennen können.
Wir sehen Landschaften, z. B. eine Steilküste auf Rügen (Gisela
Fritze), einen Wald (Silja Meier), eine Geestlandschaft (Gisela Fritze); Menschendarstellungen
wie die Mutter mit Kind auf der Fahrradtour durch sommerliche Felder (Silja
Meier). Oder auch die Kindheitserinnerungen aus den 60er Jahren (Silja
Meier): Kinder tragen die damals fast obligatorischen Lederhosen; Tretroller,
Schaukel – so einfach war das damals.
Ein Mann „chillt“ – das Wort gebrauchte man damals noch nicht –
auf einer Liege aus dem für diese Zeit typischen Plastikgeflecht.
Größere Kinder, ganz cool mit Sonnenbrille, probieren die Fahrt
mit dem Mofa, ganz wichtig bis mindestens Ende der 70er Jahre.
In meine Kindheit gehört auch das „Einmachen“, das sich mit
jeder Ernte einstellte: Die Küche war voll mit Kirschen oder Birnen. Diese
Erinnerung ist sehr schön festgehalten auf den beiden Bildern Sommerfrüchte I + II (Silja Meier), die Früchte so plastisch
und prall, dass man sie fast schmeckt.
Und wieder Landschaften: Diesmal fahren zwei Verliebte mit dem
Fahrrad durch ein Sonnenblumenfeld (Silja Meier), eine Baumgruppe am Meer /
Darßer Land (Gisela Fritze), eine enge Gasse eines beschaulichen Urlaubsortes
(Silja Meier) oder, zweimal, der Blick ins Grüne (Gisela Fritze). Und Blüten,
eine Sonnenblume und Mohn, rot und gelb – von Gisela Fritze; humorvolle Tier-
und Menschen-Portraits von Silja Meier.
Last not least drei Landschaften: An der Ostsee, an einem südlichen Strand (beide Gisela Fritze) und Marschland (Silja Meier).
Silja Meier, Menschen
Last not least drei Landschaften: An der Ostsee, an einem südlichen Strand (beide Gisela Fritze) und Marschland (Silja Meier).
Ein paar Momente lang werden wir, auf kleinen Formaten, entführt
in eine fast wohlige Welt der Erinnerung, die keine Fragen aufwirft und das
auch nicht will. Mit bewundernswert leichter Hand wird hier sommerlich-gute
Laune vermittelt – die aber, wir wissen es alle, von begrenzter Dauer ist. Die
herbstlichen Farben, die in manchen Bildern schon anklingen, scheinen zu sagen:
Nutze den Tag, genieße den Augenblick!
Wir bedanken uns für die schöne sommerliche Ausstellung!
Fotos: Künstlerinnen, Marlies
Blauth