Sonntag, 28. Juni 2020

Silja Meier, Gisela Fritze | Sommer-Aquarelle – Einführung von Marlies Blauth










Silja Meier, Schattenspender Wald









Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zu unserer Ausstellung mit einem Gedicht von Christian Morgenstern:




Farbenglück

Ist nicht dies das höchste Farbenglück:
Birkenlaub in Himmelblau gewirkt?
Doch schon winkt ein graublau Felsenstück,
dunklen Epheus* sprunghaft überzirkt.
Und schon sinkt mein Blick in grüne Wiesen
und in Wasser und in weissen Dunst -
und ich weiss nicht, wem von allen diesen
schenk' ich meine Gunst und meine Kunst ...

*Efeu(s)






Gisela Fritze, Sonnenblume




Vor genau einer Woche war der längste Tag des Jahres, gerade haben die großen Ferien begonnen: Es ist SOMMER!
Und wir denken an weite Natur, Schatten spendende Bäume, Urlaubsgegenden, den Geschmack frisch geernteter Früchte, Kindheitserinnerungen, Sonnenfarben – und Wasser.
Sonnenfarben und Wasser: Wir sehen hier eine Ausstellung mit Aquarellbildern. Aqua heißt ja Wasser, und die mit Wasser vermalten Farben bestehen unter anderem aus allerfeinsten Pigmenten.
Die typische Technik der Aquarellmalerei ist lasierend, das heißt: nicht deckend, sondern transparent. Man arbeitet sich vom Hellen zum Dunklen vor. Die hellste Farbe ist immer die des Malgrundes, meistens Papier; eine Aufhellung ist also nicht möglich. Dunklere Töne entstehen meist aus mehreren Farbschichten, deren feine Nuancen ihnen Lebendigkeit, Tiefe und Leuchtkraft verleihen.
Die Aquarellmalerei ist eine sehr alte Maltechnik, es gibt Illustrationen auf Papyrus, die etwa 4000 Jahre alt sind. Zeitweise setzte man das Aquarell nur kolorierend ein, bis Albrecht Dürer dessen Eigenständigkeit entdeckte und herausarbeitete.
Das wiederum steht in engem Zusammenhang mit der Papierherstellung, die sich im 15. Jh. etablierte und für geeignete Qualität sorgte. Aquarellpapier muss nämlich sowohl saugfähig sein als auch von einer gewissen Festigkeit. Es muss einen hohen Wasseranteil, also eine starke Verdünnung der Farben „aushalten“, denn nur so entstehen die typischen Aquarellstrukturen.
Manchmal wird das Papier auch vorher angefeuchtet, was beispielsweise eine besondere Art der Unschärfe hervorruft. Die Kontrollierbarkeit der Maltechnik ist also hier und da unterschiedlich, was das Arbeiten zwischen akribischer Planung und Improvisation möglich macht. Ich spreche dann gern von „gezähmtem Zufall“.



Gisela Fritze, Geestlandschaft, Aquarell und Tusche



Natürlich kann das Aquarell mit anderen Techniken kombiniert werden, allem voran der Zeichnung (mit Bleistift oder Tusche), oder auch mit anderen Materialien, z. B. Wachs. Ferner kann man die Farbe auf verschiedene Art auftragen, beispielsweise in Sprenkeln.
Jeder Künstler, jede Künstlerin entwickelt im Laufe der Zeit individuelle Verfahren.




Gisela Fritze, Steilküste auf Rügen, Aquarell mit Lava



Und damit schaue ich auf unsere beiden Künstlerinnen: Gisela Fritze und Silja Meier.
Ich hatte mir für uns eine Sommer-Ausstellung wie diese vorgestellt – und fand die beiden in der Künstlervereinigung Kunst.Neuss e. V.

In einem Zeitungsartikel im Zusammenhang mit ihrer ersten Ausstellung, die tatsächlich erst ein paar Jahre zurück liegt, wird Gisela Fritze als „Spätberufene“ bezeichnet. Ich mag diese Formulierung nicht besonders, denn eine Biografie ist so wie sie ist und hinterlässt ihre individuellen Spuren und Pfade.
Sowohl Gisela Fritze als auch Silja Meier haben schon früh gemalt, entschieden sich dann aber für berufliche Ausbildungen außerhalb der Kunst, wenngleich es jeweils gestalterische Berufe waren: Gisela Fritze wurde Schneiderin, Silja Meier Lithografin und Mediengestalterin.
Die Malerei ließ aber weder die eine noch die andere los, und heute arbeiten beide eben doch konsequenterweise künstlerisch. Vielleicht sind es also eher zwei „Frühberufene“?

Mich begeistert ja immer die Leichtigkeit eines Aquarells, die so treffend einen schönen Moment in seiner Flüchtigkeit darstellen kann.
Wir sehen hier eine Gegenständlichkeit, die hier und da in Farbstrukturen aufgelöst ist, so, wie die Erinnerung sich zum Teil zusammenfügt, zum Teil verfliegt. Festgehalten ist ein Zusammenspiel der Formen und Farben, aber präzise genug, dass wir das Dargestellte benennen können.
Wir sehen Landschaften, z. B. eine Steilküste auf Rügen (Gisela Fritze), einen Wald (Silja Meier), eine Geestlandschaft (Gisela Fritze); Menschendarstellungen wie die Mutter mit Kind auf der Fahrradtour durch sommerliche Felder (Silja Meier). Oder auch die Kindheitserinnerungen aus den 60er Jahren (Silja Meier): Kinder tragen die damals fast obligatorischen Lederhosen; Tretroller, Schaukel – so einfach war das damals.







Ein Mann „chillt“ – das Wort gebrauchte man damals noch nicht – auf einer Liege aus dem für diese Zeit typischen Plastikgeflecht.
Größere Kinder, ganz cool mit Sonnenbrille, probieren die Fahrt mit dem Mofa, ganz wichtig bis mindestens Ende der 70er Jahre.

In meine Kindheit gehört auch das „Einmachen“, das sich mit jeder Ernte einstellte: Die Küche war voll mit Kirschen oder Birnen. Diese Erinnerung ist sehr schön festgehalten auf den beiden Bildern Sommerfrüchte I + II (Silja Meier), die Früchte so plastisch und prall, dass man sie fast schmeckt.






Und wieder Landschaften: Diesmal fahren zwei Verliebte mit dem Fahrrad durch ein Sonnenblumenfeld (Silja Meier), eine Baumgruppe am Meer / Darßer Land (Gisela Fritze), eine enge Gasse eines beschaulichen Urlaubsortes (Silja Meier) oder, zweimal, der Blick ins Grüne (Gisela Fritze). Und Blüten, eine Sonnenblume und Mohn, rot und gelb – von Gisela Fritze; humorvolle Tier- und Menschen-Portraits von Silja Meier. 





Silja Meier, Menschen


Last not least drei Landschaften: An der Ostsee, an einem südlichen Strand (beide Gisela Fritze) und Marschland (Silja Meier).

Ein paar Momente lang werden wir, auf kleinen Formaten, entführt in eine fast wohlige Welt der Erinnerung, die keine Fragen aufwirft und das auch nicht will. Mit bewundernswert leichter Hand wird hier sommerlich-gute Laune vermittelt – die aber, wir wissen es alle, von begrenzter Dauer ist. Die herbstlichen Farben, die in manchen Bildern schon anklingen, scheinen zu sagen: Nutze den Tag, genieße den Augenblick!

Wir bedanken uns für die schöne sommerliche Ausstellung!


Marlies Blauth










Fotos: Künstlerinnen, Marlies Blauth