Samstag, 25. Januar 2014

Predigt zu Johannes 1,1 – 14





Renate Schmidt-V., Stele, Detail






Predigt zu Johannes 1, 1 – 14
gehalten am 19.1.2014 in der Ev. Kirche Osterath


Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort. 
Dasselbe war im Anfang bei Gott. 
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht,
und ohne dasselbe ist nichts gemacht,
was gemacht ist. 

In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen. 
Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat's nicht ergriffen.

Es war ein Mensch, von Gott gesandt,
der hieß Johannes. 
Der kam zum Zeugnis,
um von dem Licht zu zeugen,
damit sie alle durch ihn glaubten.
Er war nicht das Licht,
sondern er sollte zeugen von dem Licht.

Das war das wahre Licht,
das alle Menschen erleuchtet,
die in diese Welt kommen.


Liebe Gemeinde!

Ein großes Stück Weltliteratur ist das wahrhaftig –
dieser Prolog, der Anfang des Johannesevangeliums.

In der berühmten ersten Szene von Goethes Faust bemüht sich Faust in seinem Studierzimmer, die ersten Worte zu übersetzen und spielt dabei verschiedene Möglichkeiten durch. Auf mich wirkt dieser dichte Text mit seinen Gedanken und Bildern wie ein kostbarer geschliffener Diamant. Mit vielen, sehr vielen Facetten, die aufstrahlen, je nachdem, wie wir ihn ins Licht halten, und welche Seite wir näher beleuchten. Facetten, weit mehr und zahlreicher, als sie sich in einer Predigt ausloten lassen.

Zwei von ihnen möchte ich mit Ihnen näher betrachten.
Doch zuvor noch zwei allgemeinere Bemerkungen zu unserem Text.

Zum ersten:
Unser Prolog ist wie ein Vorwort, wie eine Lese­an­weisung für alles, was danach folgen wird im Evan­gelium des Johannes. Er stellt damit die Geschichte Jesu in einen Horizont, der weiter ist als bei allen anderen Evangelien.
Zugleich zeigen schon diese wenigen Verse, dass sich das ganze Evangelium im bewussten Gespräch mit vielen Traditionen und Überlieferungen befindet. Schon die ersten beiden Worte nehmen ja Bezug, nämlich auf die ersten beiden Worte der ganzen Bibel:

Im Anfang. So beginnt auch die Schöpfungsgeschichte, die berichtet, wie Gott die Welt durch sein Wort schafft und dazu als erstes spricht: Es werde Licht.
Und so soll es heute morgen um das Wort und um das Licht gehen und ihre tiefe Bedeutung für unser Leben.


1. Das Wort

Im Anfang war Wort. Und Gott war das Wort.
Im Anfang. Alles auf der Welt hat einen Anfang.
Das ist jedem klar. Eigentlich. Aber wie oft ist dieser Anfang kaum zu fassen und zu ergründen.
Seit einigen Jahren versucht man 150 Meter unter der Erde bei Genf im Europäischen Forschungszentrum CERN in einer 27 Kilometer langen und 3 Milliarden Euro teuren Röhre, den Urknall zu simulieren. Man hofft damit auch Fragen beantworten zu können wie:

Wie funktioniert unser Universum?
Was ist sein Ursprung und seine Bestimmung?
Und damit vielleicht auch irgendwann die Frage:
Warum gibt es uns?
Darauf gibt die Bibel und der Glaube schon lange seine eigenen Antworten, hervorgegangen zwar nicht aus wissenschaftlichen Experimenten, aber aus Jahrtausende währenden Erfahrungen mit dem Leben auf dieser Welt.

Im Anfang – schuf Gott Himmel und Erde.
Daran erinnert Johannes am Anfang des Evangeliums.
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Die Geschichte dazu kennt eigentlich jedes Kind. Und dann fragt sie ihr Kind vielleicht plötzlich, wie das so ist, beim Zähneputzen, beim Mittagessen oder bei der Ampel vor dem Kaufmann: Vati / Oma – und wer hat eigentlich Gott geschaffen? Kinder wollen in einem bestimmten Alter mit ihren Fragen ja allem möglichst genau auf den Grund ge­hen. Dabei bringen sie uns schnell an unsere Grenzen. Und merken an unseren Antwortversuchen bald: unser Begreifen und Fragen stößt immer wieder an Grenzen.
Gerade dann, wenn wir nach unseren Anfängen fragen.

Andererseits: vielleicht kann gerade ein Blick auf unsere eigenen kleinen Anfänge uns zeigen, wie die Worte des Johannes ihre Wahrheit erweisen.
Im Anfang war das Wort. Tatsächlich wissen wir ja – und vielleicht ahnte auch Johannes das damals schon: Zuerst nehmen wir Menschen unsere Welt über die Ohren wahr. Und das Hören ist oft auch die letzte Verbindung zu unserer Umwelt am Ende des Lebens.
Wir hören – schon im Mutterleib. Die Stimme unserer Mutter zum Beispiel. Und viele Mütter reden schon intui­tiv mit dem Kind in ihrem Bauch. Zuerst hören wir.
Erst dann sehen wir. Und ich frage mich: Wo ist „Mein Anfang“ – als Mensch?

In dieser Zeit, wo in unserem Land die For­schung mit Zellen aus Embryonen immer weiter schreitet – im Namen der Wissenschaft und des gesundheitlichen Fortschritts, da wird solches Fragen nach unseren Anfängen ja einmal mehr auch ganz praktisch spannend und bedrängend.
Für uns heute morgen will ich zu dieser ersten Facette, dem Wort, das von Anfang der Schöpfung an dabei ist, zunächst das eine festhalten:

Ich erfahre in meinem Le­ben auf jeden Fall, dass ich „bin“, weil andere zu mir sprechen, mir zusprechen. Zumeist sind das die Eltern, die so unser Selbst prägen. Kinder, mit denen kein Wort gesprochen würde, könnten nicht erfahren, „wer oder was sie sind“.

So bringen Worte uns ins Leben und durchs Leben. Worte setzen Anfänge. Bis heute noch, alle Tage. Worte haben Kraft zu schaffen und zu verändern.
Sie bewirken etwas – an uns und durch uns.
Im Anfang war das Wort – Gottes Wort. Auch zu mir.

In der Taufe spricht er ja zu mir: Fürchte dich nicht: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.

Die zweite Facette lässt etwas aufglänzen von der Ambivalenz, von der Spannung zwischen verschiedenen Bereichen, die unser Leben bestimmen, von innen und von außen.
Es ist das Bild von Licht und Finsternis.

In der Schöpfungsgeschichte wird berichtet:
Es war finster auf der Tiefe, ehe Gott sprach:
Es werde Licht. Johannes erinnert und beschreibt:

2. Das Licht

Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Das gilt für die ganze Schöpfung – von Anbeginn. Johannes überträgt diese Erfahrung hier nun auf Jesus Christus. Eben haben wir gesehen: Worte werden zuerst und noch zuletzt gehört und können bewirken, was kein Bild so zu wirken vermag.

Aber oft brauchen unsere Worte auch Bilder, um uns die Vielfalt und den Reichtum des Beschriebenen recht vor Augen zu führen. Nicht zu Unrecht heißt es darum ja:
‚Ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte’.

Deshalb sind für mich die Bilder und Skulpturen hier bei unserer Kunst in der Apsis auch häufig wunderbare Anregungen und Gesprächspartner für die Worte der Schrift, auf die wir hören. Der Evangelist Johannes versucht das, was für ihn im Glauben nur schwer in Erklärungen und Definitionen zu fassen ist, nämlich was Jesus Christus für uns und unseren Glauben, ja für die ganze Welt tatsächlich bedeutet, in Bildworten zu beschreiben, in Sprachbildern.
Und so wird auch das Bild vom Licht, das in der Finsternis scheint, zum Bildwort – sogar zu einem der wichtigsten in seinem Evangelium.
Jesus ist das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
So endet unser Predigttext heute. Und später lässt Johannes Jesus selbst sagen und bezeugen:

Ich bin das Licht der Welt.
Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Nicht im Dunkeln wandeln, sondern Licht haben.
Wie sehr wir Menschen uns danach sehnen, und nach Licht oft geradezu hungern, das haben wir in der zurückliegenden Advents- und Weihnachtszeit einmal mehr sehen können. Lichter überall in der Dunkelheit, nicht nur am Adventskranz und Weihnachtsbaum, sondern in unseren Straßen und an den Häusern und Fenstern. Sie lassen uns spüren und ahnen, wie sehr solches Licht – gerade in den Dunkelheiten des Lebens – auch ein tiefes Zeichen ist.

Ein Symbol für alles Gute. Für das Leben, für Liebe, Mitgefühl, Güte, Dankbarkeit, Erleuchtung, Klarheit für Hilfe in der Nacht und Dunkelheit, für das Göttliche.
Die Bibel, Johannes und die Schöpfungsgeschichte sprechen dabei nicht einfach von Licht und Schatten, von Licht und Dunkelheit. Der Gegensatz klingt noch radikaler: Licht und Finsternis.
Ein ganz grundsätzliches Gegensatzpaar, das parallel steht neben anderen Gegensätzen wie diese Welt und die jenseitige Welt oder auch Gut und Böse, Leben und Tod. Solche Gegensatzpaare durchziehen das ganze Johannesevangelium. Nun könnte man meinen, dass Johannes selbst unsere Welt nur gekennzeichnet sieht von den finsteren Seiten dieser Gegensatzpaare, dass er unsere Welt sozusagen schwarz-weiß sieht.
Solch eine Weltanschauung gab es zu seiner Zeit tat­­sächlich. Sie gehörte zur verbreiteten Weltanschauung der Gnosis. Auf sie nimmt Johannes hier anscheinend auch Bezug, aber gerade um sie abzuwehren. Das beginnt schon mit den ersten Worten:
Gott hat alles geschaffen und nicht – wie in der Gnosis – ein guter Gott die jenseitige Welt, zu der unsere Seele strebt und ein dunkler Schöpfergott dieser finsteren Welt in der unsere Körper gefangen sind.
Und eben in diese Welt ist Jesus gekommen, sie gehört zu ihm, ist sein Eigentum und in ihr wirkt sein Geist. So kommt das Licht in alle Finsternis hinein. Mit diesem Bild vom Licht in der Finsternis lädt Johannes in den komplizierten Verhältnissen der Welt bedrängte Menschen und Gemeinden gerade ein, den Blick auf große und kleine Probleme auszuhalten.
Auch heute lassen viele Probleme unserer Welt uns als Einzelne ja schnell hilflos und bedrängt zurück und es gibt wahrlich vieles, was einen eher finster in die Zukunft blicken lässt.
Doch Johannes setzt dagegen gleich an den Anfang: Vergeßt nie, das Licht scheint in der Finsternis.
Dabei wird die Erfahrung, die er mit Jesus Christus macht, zugleich zu einer Erfahrung, die sich in unserem eigenen inneren widerspiegelt. Was wir in unserem Leben immer wieder brauchen, ist ein inneres Licht, das uns hilft, all das einzuordnen, was um uns und mit uns und durch uns geschieht. Einzuordnen und zu sehen: ist das recht? Dient es dem Leben  meinem Leben und dem der anderen?
Allerdings: Nicht immer ist solches innere Licht auch wirklich willkommen.
Denn wo etwas ans Licht kommt, da kann es sein, dass wir merken: es muss sich etwas ändern. 
Wir müssen etwas ändern. Wir müssen uns ändern.
Wo Finsternis erhellt wird, da gerät eben alles ans Licht. Unsere Stärken, aber auch unsere Schwächen.
Mancher empfindet Fin­sternis deshalb auch gar nicht als Bedrohung. Sie kann auch ein gutes Schutz­versteck sein, wo man es sich sehr gut einrichten kann.
Ja, wenn wir achtsam in uns hinein spüren, und ehrlich mit uns selbst sind,
dann finden wir da längst nicht nur Licht. Sondern auch Dunkles, wie Hass, Neid, Ehrsucht, Unzufriedenheit. Es ist wichtig, dass wir ehrlich zu uns selber sind und unsere Gefühle – gerade auch die negativen – in uns wahrnehmen.
Denn nur dann kann es uns gelingen, sie nicht anwachsen zu lassen, sondern sie umzuwandeln.
Es ist wichtig auch die anderen zu verstehen und wo nötig auch zu vergeben.
Darum ist ja auch nach der Bitte um das tägliche Brot die zweite zentrale Bitte im Vaterunser: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben!
Das geht bei Vielem nicht sogleich, sondern braucht oft Zeit und auch Gespräche.
Aber unser Licht kann umso kräftiger leuchten, wenn wir Wut, Hass und Verletzungen überwinden. Je größer der Raum in unserem Herzen ist, der mit Licht, Mitgefühl und Dankbarkeit erfüllt ist, je weniger Raum bleibt für die Dunkelheit.

Und das Licht scheint in der Finsternis.
Und die Finsternis hat es nicht erfasst.

Das geschieht bis heute – immer wieder neu. Und es kann tatsächlich in jedem Menschen geschehen. Will Gottes Licht für jeden Menschen und in jedem Menschen leuchten will.
So sagt es ja Johannes in unseren Versen im Prolog ohne jede Begrenzung etwa nur auf Christen:

Und das Leben war das Licht der Menschen. Und auch
Das war das wahre Licht, das alle Menschen
erleuchtet, die in diese Welt kommen.

Und daraus folgt für Jesus selbst in der Bergpredigt die Aufforderung: „Ihr seid das Licht der Welt! So lasst euer Licht leuchten!
Das sagt er ja auch nicht zu Christen.
Die gab es da noch gar nicht. Die Menschen, die ihm zuhörten waren vor allem Juden und einige, die den Juden als Heiden galten. Allen Menschen hat Jesus dies zugesprochen: „Ihr seid das Licht der Welt! … So lasst euer Licht leuchten!

Darum: lassen wir uns anregen und anstoßen von so vielen Lichtspuren in unserem Leben und in unserer wunderbaren Schöpfung, lassen wir auch unser Licht immer klarer leuchten an unserem Platz in dieser Welt, in der Familie, in der Schule, im Beruf, wo immer wir sind.

Amen.


Pfarrer Gerhard Saß