Renate Schmidt-V.,
Stele, Detail
Foto: Andreas Blauth
Predigt zu Johannes 1, 1 – 14
gehalten am 19.1.2014
in der Ev. Kirche Osterath
Im Anfang war das
Wort,
und das Wort war bei
Gott,
und Gott war das
Wort.
Dasselbe war im Anfang
bei Gott.
Alle Dinge sind durch
dasselbe gemacht,
und ohne dasselbe ist
nichts gemacht,
was gemacht ist.
In ihm war das Leben,
und das Leben war das
Licht der Menschen.
Und das Licht scheint
in der Finsternis,
und die Finsternis
hat's nicht ergriffen.
Es war ein Mensch, von
Gott gesandt,
der hieß
Johannes.
Der kam zum Zeugnis,
um von dem Licht zu
zeugen,
damit sie alle durch ihn
glaubten.
Er war nicht das
Licht,
sondern er sollte
zeugen von dem Licht.
Das war das wahre
Licht,
das alle Menschen
erleuchtet,
die in diese Welt
kommen.
Liebe Gemeinde!
Ein großes Stück
Weltliteratur ist das wahrhaftig –
dieser Prolog, der
Anfang des Johannesevangeliums.
In der berühmten
ersten Szene von Goethes Faust bemüht sich Faust in seinem Studierzimmer, die ersten Worte zu
übersetzen und spielt dabei verschiedene Möglichkeiten durch. Auf mich wirkt
dieser dichte Text mit seinen Gedanken und Bildern wie ein kostbarer
geschliffener Diamant. Mit vielen, sehr vielen Facetten, die aufstrahlen, je
nachdem, wie wir ihn ins Licht halten, und welche Seite wir näher beleuchten.
Facetten, weit mehr und zahlreicher, als sie sich in einer Predigt ausloten
lassen.
Zwei von ihnen möchte
ich mit Ihnen näher betrachten.
Doch zuvor noch zwei
allgemeinere Bemerkungen zu unserem Text.
Zum ersten:
Unser Prolog ist wie
ein Vorwort, wie eine Leseanweisung für alles, was danach folgen wird im Evangelium
des Johannes. Er stellt damit die Geschichte Jesu in einen Horizont, der weiter
ist als bei allen anderen Evangelien.
Zugleich zeigen schon
diese wenigen Verse, dass sich das ganze Evangelium im bewussten Gespräch mit
vielen Traditionen und Überlieferungen befindet. Schon die ersten beiden Worte
nehmen ja Bezug, nämlich auf die ersten beiden Worte der ganzen Bibel:
Im Anfang. So beginnt auch die
Schöpfungsgeschichte, die berichtet, wie Gott die Welt durch sein Wort schafft
und dazu als erstes spricht: Es werde Licht.
Und so soll es heute
morgen um das Wort und um das Licht gehen und ihre tiefe Bedeutung für unser
Leben.
1. Das Wort
Im Anfang war Wort.
Und Gott war das Wort.
Im Anfang. Alles auf
der Welt hat einen Anfang.
Das ist jedem klar.
Eigentlich. Aber wie oft ist dieser Anfang kaum zu fassen und zu
ergründen.
Seit einigen Jahren
versucht man 150 Meter unter der Erde bei Genf im Europäischen
Forschungszentrum CERN in einer 27 Kilometer langen und 3 Milliarden Euro
teuren Röhre, den Urknall zu simulieren. Man hofft damit auch Fragen
beantworten zu können wie:
Wie funktioniert unser
Universum?
Was ist sein Ursprung und
seine Bestimmung?
Und damit vielleicht
auch irgendwann die Frage:
Warum gibt es uns?
Darauf gibt die Bibel
und der Glaube schon lange seine eigenen Antworten, hervorgegangen zwar nicht
aus wissenschaftlichen Experimenten, aber aus Jahrtausende währenden
Erfahrungen mit dem Leben auf
dieser Welt.
Im Anfang – schuf Gott
Himmel und Erde.
Daran erinnert
Johannes am Anfang des Evangeliums.
Im Anfang schuf Gott
Himmel und Erde.
Die Geschichte dazu
kennt eigentlich jedes Kind. Und dann fragt sie ihr Kind vielleicht plötzlich, wie das so ist, beim
Zähneputzen, beim Mittagessen oder bei der Ampel vor dem Kaufmann: Vati / Oma – und wer
hat eigentlich Gott geschaffen? Kinder wollen in einem
bestimmten Alter mit ihren Fragen ja allem möglichst genau auf den Grund
gehen. Dabei bringen sie uns schnell an unsere Grenzen. Und merken an unseren
Antwortversuchen bald: unser Begreifen und Fragen stößt immer wieder an
Grenzen.
Gerade dann, wenn wir
nach unseren Anfängen fragen.
Andererseits:
vielleicht kann gerade ein Blick auf unsere eigenen kleinen Anfänge uns zeigen, wie die Worte des
Johannes ihre Wahrheit erweisen.
Im Anfang war das
Wort. Tatsächlich
wissen wir ja – und vielleicht ahnte auch Johannes das damals schon: Zuerst
nehmen wir Menschen unsere Welt über die Ohren wahr. Und das Hören ist oft auch
die letzte Verbindung zu unserer Umwelt am Ende des Lebens.
Wir hören – schon im
Mutterleib. Die Stimme unserer Mutter zum Beispiel. Und viele Mütter reden
schon intuitiv mit dem Kind in ihrem Bauch. Zuerst hören wir.
Erst dann sehen
wir. Und ich frage mich: Wo ist „Mein Anfang“ – als Mensch?
In dieser Zeit, wo in
unserem Land die Forschung mit Zellen aus Embryonen immer weiter schreitet –
im Namen der Wissenschaft und des gesundheitlichen Fortschritts, da wird
solches Fragen nach unseren Anfängen ja einmal mehr auch ganz praktisch
spannend und bedrängend.
Für uns heute morgen
will ich zu dieser ersten Facette, dem Wort, das von Anfang der Schöpfung an
dabei ist, zunächst das eine festhalten:
Ich erfahre in meinem
Leben auf jeden Fall, dass ich „bin“, weil andere zu mir sprechen, mir zusprechen.
Zumeist sind das die Eltern, die so unser Selbst prägen. Kinder, mit denen kein
Wort gesprochen würde, könnten nicht erfahren, „wer oder was sie sind“.
So bringen Worte uns
ins Leben und durchs Leben. Worte setzen Anfänge. Bis heute noch, alle Tage.
Worte haben Kraft zu schaffen und zu verändern.
Sie bewirken etwas –
an uns und durch uns.
Im Anfang war das Wort – Gottes Wort. Auch zu mir.
In der Taufe spricht
er ja zu mir: Fürchte dich nicht: Ich habe dich bei deinem Namen
gerufen.
Die zweite Facette
lässt etwas aufglänzen von der Ambivalenz, von der Spannung zwischen
verschiedenen Bereichen, die unser Leben bestimmen, von innen und von außen.
Es ist das Bild von
Licht und Finsternis.
In der
Schöpfungsgeschichte wird berichtet:
Es war finster auf der
Tiefe, ehe Gott sprach:
Es werde Licht.
Johannes erinnert und beschreibt:
2. Das Licht
Und das Licht scheint
in der Finsternis,
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Das gilt für die ganze
Schöpfung – von Anbeginn. Johannes überträgt diese Erfahrung hier nun auf Jesus Christus.
Eben haben wir gesehen: Worte werden zuerst und noch zuletzt gehört und können bewirken, was
kein Bild so zu wirken vermag.
Aber oft brauchen
unsere Worte auch Bilder, um uns die Vielfalt und den Reichtum des
Beschriebenen recht vor Augen zu führen. Nicht zu Unrecht heißt es darum ja:
‚Ein Bild sagt oft
mehr als tausend Worte’.
Deshalb sind für mich
die Bilder und Skulpturen hier bei unserer Kunst in der Apsis auch häufig wunderbare Anregungen
und Gesprächspartner für die Worte der Schrift, auf die wir hören. Der
Evangelist Johannes versucht das, was für ihn im Glauben nur schwer in
Erklärungen und Definitionen zu
fassen ist, nämlich was Jesus Christus für uns und unseren Glauben, ja für die
ganze Welt tatsächlich bedeutet, in Bildworten zu beschreiben, in
Sprachbildern.
Und so wird auch das
Bild vom Licht, das in der Finsternis scheint, zum Bildwort – sogar zu einem
der wichtigsten in seinem Evangelium.
Jesus ist das wahre
Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
So endet unser
Predigttext heute. Und später lässt Johannes Jesus selbst sagen und bezeugen:
Ich bin das Licht der
Welt.
Wer mir nachfolgt, der
wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Nicht im Dunkeln
wandeln, sondern Licht haben.
Wie sehr wir Menschen
uns danach sehnen, und nach Licht oft geradezu hungern, das haben wir in der
zurückliegenden Advents- und Weihnachtszeit einmal mehr sehen können. Lichter überall in der
Dunkelheit, nicht nur am Adventskranz und Weihnachtsbaum, sondern in unseren
Straßen und an den Häusern und Fenstern. Sie lassen uns spüren und ahnen, wie
sehr solches Licht – gerade in den Dunkelheiten des Lebens – auch ein tiefes
Zeichen ist.
Ein Symbol für alles
Gute. Für das Leben, für Liebe, Mitgefühl, Güte, Dankbarkeit, Erleuchtung,
Klarheit für Hilfe in der Nacht und Dunkelheit, für das Göttliche.
Die Bibel, Johannes
und die Schöpfungsgeschichte sprechen dabei nicht einfach von Licht und
Schatten, von Licht und Dunkelheit. Der Gegensatz klingt noch radikaler: Licht
und Finsternis.
Ein ganz
grundsätzliches Gegensatzpaar, das parallel steht neben anderen Gegensätzen wie
diese Welt und die jenseitige Welt oder auch Gut und Böse, Leben und Tod.
Solche Gegensatzpaare durchziehen das ganze Johannesevangelium. Nun könnte man
meinen, dass Johannes selbst unsere Welt nur gekennzeichnet sieht von den
finsteren Seiten dieser Gegensatzpaare, dass er unsere Welt sozusagen
schwarz-weiß sieht.
Solch eine
Weltanschauung gab es zu seiner Zeit tatsächlich. Sie gehörte zur
verbreiteten Weltanschauung der Gnosis. Auf sie nimmt Johannes hier anscheinend
auch Bezug, aber gerade um sie abzuwehren. Das beginnt schon mit den ersten
Worten:
Gott hat alles
geschaffen und nicht – wie in der Gnosis – ein guter Gott die jenseitige Welt,
zu der unsere Seele strebt und ein dunkler Schöpfergott dieser finsteren Welt
in der unsere Körper gefangen sind.
Und eben in diese Welt
ist Jesus gekommen, sie gehört zu ihm, ist sein Eigentum und in ihr wirkt sein
Geist. So kommt das Licht in alle Finsternis hinein. Mit diesem Bild vom Licht
in der Finsternis lädt Johannes in den komplizierten Verhältnissen der Welt
bedrängte Menschen und Gemeinden gerade ein, den Blick auf große und kleine
Probleme auszuhalten.
Auch heute lassen
viele Probleme unserer Welt uns als Einzelne ja schnell hilflos und bedrängt
zurück und es gibt wahrlich vieles, was einen eher finster in die Zukunft
blicken lässt.
Doch Johannes setzt
dagegen gleich an den Anfang: Vergeßt nie, das Licht scheint in der
Finsternis.
Dabei wird die
Erfahrung, die er mit Jesus Christus macht, zugleich zu einer Erfahrung, die
sich in unserem eigenen inneren widerspiegelt. Was wir in unserem Leben immer
wieder brauchen, ist ein inneres Licht,
das uns hilft, all das einzuordnen, was um uns und mit uns und durch uns
geschieht. Einzuordnen und zu sehen: ist das recht? Dient es dem Leben – meinem
Leben und dem der anderen?
Allerdings: Nicht immer
ist solches innere Licht auch wirklich willkommen.
Denn wo etwas ans
Licht kommt, da kann es sein, dass wir merken: es muss sich etwas ändern.
Wir müssen etwas
ändern. Wir müssen uns ändern.
Wo Finsternis erhellt
wird, da gerät eben alles ans Licht. Unsere Stärken, aber auch unsere
Schwächen.
Mancher empfindet Finsternis
deshalb auch gar nicht als Bedrohung. Sie kann auch ein gutes Schutzversteck
sein, wo man es sich sehr gut einrichten kann.
Ja, wenn wir achtsam
in uns hinein spüren, und ehrlich mit uns selbst sind,
dann finden wir da
längst nicht nur Licht. Sondern auch Dunkles, wie Hass, Neid, Ehrsucht,
Unzufriedenheit. Es ist wichtig, dass wir ehrlich zu uns selber sind und unsere
Gefühle – gerade auch die negativen – in uns wahrnehmen.
Denn nur dann kann es
uns gelingen, sie nicht anwachsen zu lassen, sondern sie umzuwandeln.
Es ist wichtig auch
die anderen zu verstehen und wo nötig auch zu vergeben.
Darum ist ja auch nach
der Bitte um das tägliche Brot die zweite zentrale Bitte im Vaterunser: Und
vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben!
Das geht bei
Vielem nicht sogleich, sondern braucht oft Zeit und auch Gespräche.
Aber unser Licht kann
umso kräftiger leuchten, wenn wir Wut, Hass und Verletzungen überwinden. Je
größer der Raum in unserem Herzen ist, der mit Licht, Mitgefühl und Dankbarkeit
erfüllt ist, je weniger Raum bleibt für die Dunkelheit.
Und das Licht scheint
in der Finsternis.
Und die Finsternis hat
es nicht erfasst.
Das geschieht bis
heute – immer wieder neu. Und es kann tatsächlich in jedem Menschen geschehen.
Will Gottes Licht für jeden Menschen und in jedem Menschen leuchten will.
So sagt es ja Johannes
in unseren Versen im Prolog ohne jede Begrenzung etwa nur auf Christen:
Und das Leben war das
Licht der Menschen. Und
auch
Das war das wahre
Licht, das alle Menschen
erleuchtet, die in
diese Welt kommen.
Und daraus folgt für
Jesus selbst in der Bergpredigt die Aufforderung: „Ihr seid das Licht der
Welt! So lasst euer Licht leuchten!“
Das sagt er ja auch
nicht zu Christen.
Die gab es da noch gar
nicht. Die Menschen, die ihm zuhörten waren vor allem Juden und einige, die den
Juden als Heiden galten. Allen Menschen hat Jesus dies zugesprochen: „Ihr
seid das Licht der Welt! … So lasst euer Licht leuchten!“
Darum: lassen wir uns
anregen und anstoßen von so vielen Lichtspuren in unserem Leben und in unserer
wunderbaren Schöpfung, lassen wir auch unser Licht immer klarer leuchten an
unserem Platz in dieser Welt, in der Familie, in der Schule, im Beruf, wo immer
wir sind.
Amen.
Pfarrer Gerhard Saß