Kurzeinführung „Spätsommer-Vielfalt. Arbeiten zum Tee“
Marlies Blauth muss ich
Ihnen vermutlich nicht mehr vorstellen. Ihr Studium von Kunst und
Biologie in Wuppertal, u. a. bei Anna Oppermann, hat sie Ende der 1980er um den
Aspekt des Kommunikationsdesigns erweitert und ihren solchermaßen
differenzierten und interdisziplinär fundierten Zugang zur Kunst auch im Rahmen
ihrer über zwanzigjährigen Dozentinnentätigkeit vermittelt. Ihr künstlerisches
Schaffen ist zudem begleitet von einer andauernden Ausstellungstätigkeit im In-
und Ausland; seit Mitte der Nuller-Jahre ist sie darüber hinaus auch
literarisch tätig, insbesondere im Bereich von Lyrik und Kurzprosa. Neben
verschiedenen anderen Publikationen hat sie inzwischen zwei eigene Lyrikbände veröffentlicht.
Seit 2003 bereits Organisatorin von Kunst in der Apsis,
ist sie heute sozusagen auch künstlerisch Gastgeberin. Gemeinsam mit Juliane
Talkenberg, die ich Ihnen gleich noch vorstellen darf, präsentiert sie uns
„Arbeiten zum Tee“ – eine Ausstellung, die um das Spiel von Materialität und
Struktur, von Zufall und Assoziation kreist und uns einen Gegenstand, den wir
aus dem Alltag längst zu kennen glauben, neu vorstellt. Zugleich klingen darin
Untertöne des Besinnens auf des Wesentliche an.
Die Grundform, die
in vielen der gezeigten Arbeiten aufscheint, ist von einem Gebrauchsgegenstand
vorgegeben – einem Teebeutel. In der künstlerischen Aufbereitung jedoch löst
Marlies Blauth ihn aus der gedanklichen Zuordnung seiner Zweckbestimmung, und
plötzlich gemahnt er an botanisches Sammelmaterial – an Blütenblätter oder
Schmetterlingsflügel, wie wir sie aus naturkundlichen Werken oder Sammlungen
kennen. Darin scheint Marlies‘ fachlicher Hintergrund auf, und von dort aus
nimmt alles seinen weiteren Verlauf: Natur und Natürlichkeit ist ein zweiter
Themenschwerpunkt dieser Ausstellung.
In der Serie florale Ornamente nehmen die
Teeblätter so fast die Erscheinung von Klatschmohnblüten an. Die Sepia-Töne,
die die Farbstoffe des Tees am Material hinterlassen haben, muten herbstlich
an, wecken die bittersüße Nostalgie eines zur Neige gehenden Sommers und rufen
Gedanken an das Verfallen, Vergehen und Verblühen auf, das ewige Widerspiel von
Entstehen und Vergehen, das der Jahreszyklus beschreibt. Die klare Komposition
der Arbeiten erinnert an einen Holzschnitt und ist somit Anknüpfung an andere
Techniken der Künstlerin. Diese architektonisch-artifizielle Gefügtheit aber
steht im Kontrast zum Organischen des Materials und der Zufälligkeit, mit der
das Farbenspiel durch das Aufbrühen entstanden ist. Die Zerbrechlichkeit des
Teebeutels, dessen Gewebe an Blütenblätter erinnert, steht im Kontrast zur
Regelhaftigkeit der Anordnung. Ein Grundgedanke dieser Serie.
Er setzt sich in den Herbarien logisch fort.
Hier aber erwecken ergänzende, vor allem graphische Techniken die
quasi-geometrische Form des Teebeutels zum Leben: suchende Linien regen die
Vorstellung an, Umriss-Linien definieren den Gedanken. Die Lebendigkeit des
Materials greift auf die Gestaltung über. Auch die Punkte – Kleckse? – die Sie
entdecken können, vermitteln diesen Eindruck – sind die Teebeutel noch feucht
bearbeitet worden, dass die festen Linien sich auflösen? Der Zufall hat in die
Bilder eingegriffen und eröffnet ein evokatives Potential, dieser
spielerisch-leichten Herangehensweise.
Das Wasser wird so zum Gestaltungsmittel, vorher und nachher:
Einerseits färbt es die Beutel durch Lösen der Inhaltsstoffen aus dem
eigentlichen Tee. Zugleich wird es zum Trägermedium bei der Transformation vom
Abfall- zum künstlerischen Material. Das Wasser als das lebensspendende Element
der Natur wird so zugleich zur Bedingung der künstlerischen Gestaltung.
Auch ist es ein verbindendes Element der beiden künstlerischen
Positionen, die sich in dieser Ausstellung begegnen.
Juliane Talkenberg hat in den
1970er Jahren u. a bei Beuys und Richter studiert und bis 2014 auch
unterrichtet. Schon Mitte der 1980er aber hat sie ihr fachliches Spektrum von
Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik um einen kunsttherapeutischen Aspekt
erweitert. Ihre künstlerische Arbeit ist seither stets von
Ausstellungstätigkeit begleitet, vor allem im Rheinland, aber auch darüber
hinaus, und so im ständigen Dialog mit der Öffentlichkeit. Dem
Ausstellungsthema gemäß ist der Teebeutel auch ihr gedanklicher Ausgangspunkt
und das Wasser eine ästhetische Bedingung ihres gestalterischen Ausdrucks, doch
in einem ganz eigenen Sinne. Die Idee, den gestalterischen Möglichkeiten von
Tee künstlerisch nachzuspüren, stammt im übrigen ursprünglich von ihr.
Ihre malerischen Arbeiten, insbesondere die Serie Blütentänze, führen
uns vor abstrakte Farbwolken, die floral anmuten. Ihre duftig-pastelligen
Strukturen sind stark bewegt: Wirbel und Strudel schaffen Räumlichkeit und
scheiden das eine vom anderen, den Vordergrund vom Hintergrund und dem
Dazwischen. So entsteht der Eindruck von Landschaft – ob am Himmel in Wolken zu
erblicken, ob als weites Land, durch das wilde Stürme streifen, das bleibt uns
überlassen. In jedem Fall ist das Ergebnis dieser Bewegtheit ein lebendiges Auf
und Ab, das in seinem Eindruck fließendem Wasser nahekommt – oder den
Schlieren, die aufgebrühter Tee beim Ziehen in das heiße Wasser abgibt. Juliane
Talkenberg hat diesem Vorgang nämlich in filmischen Experimenten nachgespürt.
Die genannten Arbeiten als Zeugnisse dieser Auseinandersetzung illustrieren
demgemäß ein elementares Moment des Lebens in konzentrierter Form: Das
(Tee-)Wasser entfaltet in dieser Serie sein ganzes schöpferisches Potential:
Bewegung nimmt Gestalt und Farbe an.