Jutta Soyka – Fantasie-Welten: Ordnung und Schmuck
Vielleicht kennen Sie das – noch? Oder erinnern sich jedenfalls?
Der Fleck an der Wand, die besonders gemaserte Stelle im Holz,
der Schatten des Astes – mit etwas Fantasie kann man darin Figuren oder
Gesichter oder Tiere sehen.
Besonders Kinderzimmer sind Orte, an denen sich solche Gestalten
wohl fühlen; fantastischer Weise mit Leben erfüllt, lachen sie manchmal freundlich,
ein andermal grinsen sie schräg – oder sie können auch weise, heimatliche
Tröster sein. Geheimnisvolle alte Bekannte, die schwuppdiwupp durch einen neuen
Anstrich oder den Austausch des Möbelstücks vernichtet werden können. Wie
schade!
Jutta Soyka, Designerin, unter anderem Kinderbuch-Illustratorin,
hat solche fantastischen Verwandlungen nicht vergessen, im Gegenteil, sie
arbeitet genau so:
Die frische und engagierte Fantasie der Kinder hat sie sich künstlerisch
zu eigen gemacht. Auf kleinen Formaten verleiht sie Farbflecken Lebendigkeit.
Grundlagen, Grundformen, zum Beispiel durch Monotypie oder Aquarell entstanden,
oder als Fundstücke ausgeschnitten oder ausgerissen, bearbeitet sie mit spitzem
Farbstift, holt Details heraus, gibt ihnen Plastizität.
Mit feinsten Tusche-Linien grenzt sie ihre Gestalten von der
Umgebung, vom Hintergrund ab, gibt ihnen Raum. Und bringt sie in ein Gefüge,
eine Partitur – in Bewegung.
„Ich liebe Strukturen“, sagt sie dazu. „Es ist so: Das Leben geht weiter“ könnte man da herausdeuten – ein
Spruch, den man hauptsächlich dann hört, wenn es gerade einen schlagartigen
Einbruch im Leben gegeben hat.
Jutta Soyka sagt ihn allerdings mitten in der Normalität. In ihren
gemalten Strukturen definiert sie nämlich oft keinen Anfang und kein Ende: Der
Moment, in dem wir gerade leben, ist ein herangezoomter Ausschnitt aus dem
Geflecht des Lebens, einer Symbiose – der Natur und der Gesellschaft.
Dazu passt, dass kürzlich – in einem Gespräch auf einer
Künstler-Tagung – eine Kollegin die These aufstellte, der Mensch der Gegenwart brauche das Ornament.
In dem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu erfahren,
dass das griechische Wort Kosmos
sowohl mit „Ordnung“ als auch mit „Schmuck“ übersetzt werden kann.
Tatsächlich kann eine ornamentale Wiederholung des Gleichen oder
Ähnlichen ordnend, unterstützend wirken wie ein angenehmes und schönes Geländer.
Vorhin fiel schon der Begriff Partitur: Wir alle wissen, wie sehr uns Musikstücke, insbesondere
Lieder und Songs mit ihrer übersichtlichen Struktur, den Alltag „ausschmücken“
können: Wir ahnen ein Stück Kosmos.
Eine lebendige Ordnung, eine stille Lebhaftigkeit, von der wir
uns gern anstecken lassen, fröhliche Farben, die uns heiter stimmen – alles das
lässt sich gut mit frühlingshaftem Aufbruch, Aufblühen, Ärmel-Aufkrempeln
verbinden. So, als wären wir selbst eben noch ein schlafender Farbfleck
gewesen, aus dem nun Hände, Füße, Augen, Ohren, Münder wachsen, die Lust haben,
(wieder) aktiv zu werden.
Es ist nicht nur die farbenfrohe Klarheit, die hier wirkt, sondern
deutlich auch Jutta Soykas Spiel mit dem Experiment, das diese heitere
Lebhaftigkeit ausstrahlt:
Mit dem künstlerischen Repertoire ihres Designstudiums vermag
sie hervorragend zu improvisieren. Da wird geschnitten, gelocht, geheftet,
genäht, geknittert und gedreht, gezeichnet, gemalt, gedruckt, immer mit dem
künstlerischen Anspruch, bei aller Zufälligkeit und Spontaneität zu einem
stimmigen, fertigen Ergebnis zu gelangen.
Was nicht ohne künstlerische Handlung geht, was bedeutet, immer
wieder eine Auswahl zu treffen und Akzente zu setzen. Was man wachsen lässt,
braucht Raum. Auch ein schöner Garten ist komponiert.
Wenn Jutta Soyka erzählt, dass sie die winzigen Fundstücke,
feinste Fäden oder Papierfetzen, durchaus auch mit der Pinzette aufs Bild
bringt, denke ich an den Botaniker, der seltenes und kostbares Saatgut
sortiert, um es später zur Keimung zu bringen – beide interessieren sich also
für Winziges, für Details, anstatt sie in der Welt der Massenproduktion
untergehen zu lassen.
Und es ist doch wirklich ein Glück, dass wir das alle noch
können –
jetzt in der Zeit um Ostern – wenn der Frühling „aufersteht“:
Da entdecken und betrachten wir eben auch Kleines, scheinbar Unbedeutendes
und erfreuen uns daran.
Auch wenn wir botanisch nicht so „drauf“ sind, fallen uns die
Primeln auf oder die Mandelbäume – und jedenfalls nehmen wir wahr, dass die
Landschaft um uns plötzlich jeden Tag irgendwie neu und anders aussieht.
Man kann sich gut vorstellen, dass Jutta Soyka in ihren
Kunstkursen Erwachsene und Kinder be-geistern
kann – und, umgekehrt, sich von ihnen Tag für Tag inspirieren lässt.
Die Künstlerin, Jahrgang 1955, stammt aus Aschaffenburg,
studierte in Würzburg und Essen Grafikdesign und Visuelle Kommunikation,
arbeitete als Illustratorin und mit Illustratoren zusammen.
Sie unterrichtet seit gut 20 Jahren Kinder und Erwachsene an
Volkshochschulen, Museen und anderen Orten, an denen Kunstkurse stattfinden.
Marlies Blauth
Fotos: Andreas Blauth