Frank Merks: Installation
Anatol Herzfeld: Selbstbildnis
mit Kreuz
Anatol Herzfeld: Das Leiden. Malerei auf Holz
Predigt über Matthäus 20, Die
Arbeiter im Weinberg, anlässlich der Ausstellungseröffnung
Arbeitszeit – Wir tragen das Kreuz in die Kirche –
gehalten am 1. Februar 2015
Liebe Gemeinde!
Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg.
Auf dem Weg nach Jerusalem.
Auf dem Weg, sein Kreuz zu tragen.
Und die, die mit ihm auf dem Weg sind, haben viele Fragen.
Ein junger Mann fragt ihn: "Lehrer, was muss ich Gutes tun,
damit ich das ewige Leben bekomme?"
Jesus antwortete ihm: "Warum fragst du mich, was gut ist? Gut
ist nur einer!“
Die Gebote hat der junge Mann alle gehalten, so erklärt er
Jesus. Darauf sagt Jesus:
"Wenn du vollkommen sein willst, geh los, verkaufe deinen
Besitz und gib das Geld den Armen. So wirst du unverlierbaren Reichtum im
Himmel haben. Dann komm und folge mir!"
Da sagte Petrus zu ihm: "Sieh doch: Wir haben alles
zurückgelassen und sind dir gefolgt.
Was werden wir dafür bekommen?"
„Jeder, der etwas zurückgelassen hat – um zu mir zu gehören, wird
es hundertfach neu bekommen. Und dazu bekommt er noch das ewige Leben als Erbe
geschenkt.
Viele, die jetzt bei den Ersten sind, werden dann die Letzten
sein. Und viele, die jetzt bei den Letzten sind, werden dann die Ersten
sein."
Und dann fährt er fort – auf dem Weg nach Jerusalem – und
erzählt denen, die mit ihm gehen, ein Gleichnis.
Wir hören – als Predigttext für den Sonntag heute – aus Matthäus
20. Ich lese aus der Basisbibel.
Jesus fuhr fort:
"Das Himmelreich gleicht einem Grundbesitzer: Er zog früh
am Morgen los,
um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.
Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Lohn von einem
Silberstück für den Tag.
Dann schickte er sie in seinen Weinberg. Um die dritte Stunde
ging er wieder los. Da sah er noch andere Männer, die ohne Arbeit waren und auf
dem Marktplatz herumstanden. Er sagte zu ihnen: 'Ihr könnt auch in meinen
Weinberg gehen. Ich werde euch angemessen dafür bezahlen.' Die Männer gingen
hin.
Später, um die sechste Stunde, und dann nochmal um die neunte
Stunde, machte der Mann noch einmal das Gleiche. Als er um die elfte Stunde
noch einmal losging, traf er wieder einige Männer, die dort herumstanden. Er
fragte sie: 'Warum steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?' Sie
antworteten ihm: 'Weil uns niemand eingestellt hat!'
Da sagte er zu ihnen: 'Ihr könnt auch in meinen Weinberg gehen!'
Am Abend sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter:
'Ruf die Arbeiter zusammen und zahl ihnen den Lohn aus! Fang bei den Letzten an
und hör bei den Ersten auf.'
Also kamen zuerst die Arbeiter, die um die elfte Stunde
angefangen hatten. Sie erhielten ein Silberstück.
Zuletzt kamen die an die Reihe, die als Erste angefangen hatten.
Sie dachten: 'Bestimmt werden wir mehr bekommen!' Doch auch sie erhielten jeder
ein Silberstück. Als sie ihren Lohn bekommen hatten, schimpften sie über den
Grundbesitzer. Sie sagten: 'Die da, die als Letzte gekommen sind, haben nur
eine Stunde gearbeitet. Aber du hast sie genauso behandelt wie uns. Dabei haben
wir den ganzen Tag in der Hitze geschuftet!'
Da sagte der Grundbesitzer zu einem von ihnen: 'Guter Mann, ich
tue dir kein Unrecht. Hast du dich nicht mit mir auf ein Silberstück als Lohn
geeinigt? Nimm also das, was dir zusteht, und geh! Ich will dem Letzten hier
genauso viel geben wie dir. Kann ich mit dem, was mir gehört, etwa nicht das
machen, was ich will? Oder sehen deine Augen neidisch, weil ich so großzügig
bin?
So werden die Letzten die Ersten
und die Ersten die Letzten sein.'"
Liebe Gemeinde!
Um Arbeitszeit geht es in diesem Gleichnis. Wenig und viel Zeit,
arbeiten zu müssen oder auch: Arbeit zu finden, arbeiten zu dürfen. Und um den
Wert der Arbeit. Und die Frage, woran wir den eigentlich messen.
Ja letztlich geht es auch um die Frage an uns, wie und worauf
wir eigentlich sehen, wenn wir und andere arbeiten, wenn wir für andere
arbeiten, wenn andere für uns arbeiten.
Ein spannendes Gleichnis, finde ich. Ja – ein provozierendes
Gleichnis.
Auf jeden Fall hören und empfinden es Menschen immer wieder als
Provokation. Als eine Provokation, der man widersprechen muss. Oder die man
mindestens erklären muss, damit dieser gute Weinbergbesitzer nicht mehr so
provozierend erscheint.
Der Widerspruch gegen unsere Geschichte kann ganz verschieden
ausfallen, je nachdem, mit wem Menschen sich identifizieren.
Der Sprecher der Vereinigung der Tagelöhner, der
Gewerkschaftssekretär, wird vermutlich sagen: „Erst einmal will ich festhalten:
Selbstverständlich gönnt unsere Vereinigung auch den letzten Arbeitern ihren
Verdienst. Aber unsere Aufgabe muss es vor allem sein, für eine gerechte
Entlohnung unserer Mitglieder zu sorgen. Sie sind es doch, die von morgens bis
abends hart arbeiten und die Wirtschaft in Schwung halten. Und wo wir hinkommen, wenn das Gefüge von
Lohn und Leistung so auf den Kopf gestellt wird, wissen wir doch alle: Zur
willkürlichen Ausnutzung unserer Arbeitskraft durch die Arbeitgeber.
Ich kann nur sagen: Wehret den Anfängen.
Auch wenn ein direkter Bruch des geltenden Tarifrechts nicht
vorliegt, da ja die Vereinbarungen mit den ersten Arbeitnehmern eingehalten
wurde. Aber nach dem
Grundsatz von Treu und Glauben und vor allem nach den Prinzipien
eines gerechten
Tarifgefüges wäre für die, die so viel länger und härter gearbeitet
haben, in diesem Fall zumindest eine außertarifliche Zulage nur recht und
billig gewesen.
Der Sprecher der Vereinigung der Weinbergbesitzer wird wohl
sagen: Wir können und wollen ja in unserem freien Wirtschaftssystem keinem
Kollegen vorschreiben, wie er seinen Betrieb zu führen hat. Und wir sind auch
nicht voll über seine Motive und über alle Einzelheiten dieser Aktion im Bilde.
Aber alles was Recht ist, eins erscheint uns sicher: Oft wird er das nicht
machen können, sonst muss er mit seinem Unternehmen bald Konkurs anmelden. Darüberhinaus gibt
diese ganze, leidige Geschichte leider ein falsches Signal, das misslicherweise
einige radikale Kräfte der Arbeitnehmer versuchen könnten als Präzedenzfall
aufzubauschen.
Der wissenschaftliche Berater für Wachstumsfragen im
Wirtschaftsministerium wird vermutlich sagen: Ein interessanter Fall
unternehmerischer Initiative in der sozialen Marktwirtschaft ist das schon. Aber
gänzlich ungeeignet, um als Modell für unsere florierende, auf Wachstum
angewiesene Wirtschaft zu fungieren. Wir haben doch gerade in den Ländern des
Ostblocks erst wieder erlebt, was geschieht, wenn durch nicht leistungsgerechte
Entlohnung ganze Volkswirtschaften sich selbst das Wasser abgraben. In der freien Wirtschaft kann doch letztlich
nur der Gewinn zählen, und Gewinn braucht
leistungswillige Mitarbeiter, und leistungsfähige Mitarbeiter brauchen
eine leistungsgerechte Entlohnung.
Was die verschiedenen Vertreter unseres Wirtschaftslebens da in
wohlgesetzten Worten sagen zu unserer Geschichte, das würden die meisten von
uns wohl auch gut verstehen und nachvollziehen können.
Was würdet ihr Konfirmanden etwa denken, wenn es am Ende des
Schuljahres für alle einfach eine 1 auf dem Zeugnis geben würde – egal, was und
wieviel die Einzelnen das Jahr über gearbeitet haben.
Da könnte man sich wirklich schon ärgern. Jedenfalls die
meisten.
Der arbeitslose Vater von vier Kindern wird vermutlich als einziger
nicht sogleich Bedenken anmelden, nicht murren und nicht protestieren, sondern
sich wünschen, dass ihm so etwas auch passiert. Dass einer von denen, die
sagen: „Ja, warum arbeitet der denn nicht? Was steht er auch den ganzen Tag müßig
herum? Bei uns braucht doch keiner arbeitslos zu sein; man muß doch nur wollen,
dann findet man Arbeit“ – dass einer von denen ihm dann auch wirklich Arbeit
anbietet und einen Lohn, mit dem er seine Familie über die Runden bringen kann.
Auf so einen möchte er gerne einmal treffen. Aber leider: Ihm ist das
jedenfalls noch nicht passiert.
Die Welt ist offensichtlich anders.
Ja – unsere Welt ist anders als dieses Gleichnis. Aber unser
Gott handelt mit uns anders, als wir das nach unseren Maßstäben oft erwarten.
Darf der Weinbergbesitzer denn einfach so handeln?
Darf Gott einfach so handeln?
Andere Menschen durch die Jahrhunderte haben versucht mit
Erklärungen die Provokation dieses Gleichnisses kleiner zu machen.
Eine solche – wirtschaftlich scheinbar plausible Erklärung
lautet zum Beispiel:
Bestimmt haben die letzten Arbeiter in der kurzen Zeit, wo es
nicht mehr so heiß war, genauso viel Leistung gebracht wie die anderen in der
langen Zeit der Tageshitze, also dem Weinbergbesitzer genauso viel Gewinn
gebracht.
Eine andere Erklärung ist: Vermutlich waren die, die so kurz
gearbeitet haben,
irgendwie gehandicapt und mussten sich darum genauso anstrengen
wie die anderen, denen das leichter fiel. Also wurde ihre gleiche Anstrengung
gleich bezahlt.
Oder der Druck der Wetterbedingungen war für den
Weinbergbesitzer so groß, dass er am Ende besonders dringend noch Arbeiter
braucht, weil Regen oder Nachtfrost noch so viel von seiner Ernte bedroht, dass
wirtschaftlicher Schaden droht.
Schließlich gibt es auch so etwas wie eine sozialpolitische
Erklärung. Danach war ein Silberstück damals so etwas wie der übliche
Mindestlohn für einen Tag. Die Summe, die nötig war zur Deckung des
Existenzminimums.
Aber von all dem steht ja in Jesu Gleichnis nichts. Wir wissen
nicht, ob die Arbeiter ernten oder im Frühjahr mit Schnittarbeiten beschäftigt
sind. Von unterschiedlicher Leistung oder Anstrengung ist auch nirgends die
Rede.
Und vermutlich war zur Zeit Jesu schon für die ersten Arbeiter das
vereinbarte Silberstück ein unüblich hoher Lohn, eher ein Wochenlohn als ein
Tageslohn.
Vor allem aber: all diese Erklärungen nehmen dem Gleichnis Jesu
nur die Spitze.
Und auf der Suche nach der eigenen Gerechtigkeit und ihren
Maßstäben werden sie ihm letztlich nicht gerecht. Weil – wer so wegerklärt –
nicht sehen oder wahrhaben will, dass am Ende wir selbst es sind, die gefragt
sind:
Warum bist du neidisch. Warum kannst Du mich nicht so gütig
handeln lassen?
Warum sieht dein Auge die Dinge so?
Wörtlich heißt die Frage im Griechischen eigentlich sogar: Warum
sieht dein Auge böse, weil ich gut bin? Und die Frage in dem Gleichnis ist wohl
zugleich eine Frage Jesu an die, die ihm folgen und sich doch schwertun, seinen Weg nach
Jerusalem ans Kreuz zu verstehen.
Jesus ist auf dem Weg.
Menschen kommen zu ihm und stellen ihm Fragen.
Und Matthäus erzählt diesen Weg so, dass Menschen diesen Weg der
Gerechtigkeit, der bis ans Kreuz geht, aber nicht am Kreuz endet, wirklich
aufmerksam wahrnehmen, auch da, wo er unsere gängigen Erwartungen durchkreuzt.
Es ist kein Zufall, dass Jesus diese Geschichte rahmt mit dem
Wort:
So werden die Letzten
die Ersten sein und die Ersten die Letzten.
Eine ähnliche Umkehr haben wir zu dem, was der Weg zum Kreuz
bedeutet, schon zu Beginn mit der Liedstrophe gesungen:
So hat es Gott
gefallen, so gibt er sich uns allen.
Das Ja erscheint im
Nein,
der Sieg im
Unterliegen, der Segen im Versiegen,
die Liebe will
verborgen sein.
Auf seine ganz eigene künstlerische Weise nimmt auch das Triptychon
‚Das Leiden‘ von Anatol hier hinter der Kanzel diese Umkehrungen für mich auf.
Wenn der Künstler der linken, blutrot gerahmten, festgeformten
Figur den Titel gibt ‚JA‘
und der rechten, zusammengesetzten, ja vielleicht
zusammengestückelten, aber zugleich hoffnungsgrün gerahmten Titel ‚NEIN‘.
Wir müssen mehrfach hinsehen, genau hinsehen, nachfragen und
nachspüren und unsere Erwartungen und Maßstäbe immer wieder hinterfragen
lassen.
Dazu kann uns die Kunst immer neu anregen.
Dazu will uns vor allem auch Jesu Gleichnis heute anregen.
Um Arbeitszeit geht es in diesem Gleichnis.
Um den Wert der Arbeit.
Um unseren Wert als Menschen.
Und woran wir ihn eigentlich messen.
Ein Gleichnis dafür, wie es im Himmelreich ist.
Wie Gott den Wert von jedem von uns misst. Nicht, weil wir dafür
viel oder wenig geleistet hätten. Sondern weil ER gut ist .
Das will Jesus uns und allen mit seinem Gleichnis neu vor Augen
führen:
ER ist gut und meint es darum gut mit uns – der Schöpfer, der
uns das Leben schenkt,
lange bevor wir irgendetwas verdient hätten.
ER ist gut und meint es darum gut mit uns: Der Erlöser, der uns
mit seinem ganzen Leben liebt und unser Leiden mit an sein Kreuz nimmt.
ER ist gut und meint es darum gut mit uns: Der Geist, der uns
täglich Kraft schenken will, an der Seite Jesu den Weg der Gerechtigkeit Gottes mit zu gehen.
Amen.
Pfarrer Gerhard Saß
Fotos: Andreas Blauth