Fotos: Andreas Blauth
Vernissage Anatol Herzfeld/ Frank Merks: Arbeitszeit – Wir tragen das Kreuz in die Kirche
„Anatol hat so viel Fantasie“, sagt Erdmute Herzfeld, seine Frau
und Begleiterin über viele Jahrzehnte, mehrfach. Das ist teils voller
Bewunderung gemeint, wenn er beispielsweise im Kirchenraum sitzt und eine
kunstvolle Skizze aufs Papier zaubert, teils eine Erklärung dafür, wenn er
erzählt und erzählt, durch unendliche Erinnerungsgefilde schweift und
zwischendurch wieder Gegenwärtiges assoziiert. Ja, das Vernissagepublikum hatte
es nicht immer leicht. Pfarrer Saß, der das Künstlergespräch zwischen Anatol
Herzfeld und Frank Merks behutsam moderierte, tat das Richtige: Er gab Anatol
viel Raum – nicht nur für seine Worte, sondern auch für die Kunst. Eine
Stuhlreihe wurde aus der Kirche entfernt, ein Kerzentisch umgestellt, denn
Anatols Objekte sind groß.
Im Mittelpunkt das liegende Kreuz, eine Gemeinschaftsarbeit mit
Frank Merks: Mit seinen Rollen wirkt es wie ein Gerät, das auf seinen Einsatz
wartet. Für eine Kunstaktion? Oder erinnert es an seine Funktion von damals,
nämlich Folter- und Mordinstrument zu sein? Das Kreuzsymbol, das weltweit als
christliches Zeichen verstanden wird, ist gleichsam zurückgeholt zu seinen
Ursprüngen. Krone und Strahlenkranz unterstützen die Ambivalenz zwischen
erhabenem Symbol und schrecklicher Bestimmung: Die zeichenhafte Krone wird
eingerahmt von spitzigen Metallstäben, die deutlich das Motiv der Dornenkrone
aufnehmen.
„Jeder trägt ein Kreuz“, antwortet Anatol auf die Frage, warum
er sein eigenes Portrait und das von Frank Merks auf jeweils ein Kreuz montiert
hat (wir sehen sie an den Seitenwänden der Kirche). Und das Triptychon über der
Kanzel heißt „Das Leiden“; Malerei auf Holz von Anatol, links das Ja, rechts
das Nein, dazwischen ein Gefängnis. Die Darstellung lässt Erinnerungen an ein
bestimmtes Gebäude in seiner ostpreußischen Heimat anklingen, in dem Gefangene
gefoltert wurden. Die Kriegserlebnisse haben Anatols Leben und Werk deutlich
geprägt, Jasagen, Neinsagen – wie oft ist es zumindest schmerzhaft, wenn nicht sogar
vernichtend.
Das zweiteilige Objekt am Glasfenster links, zwei im Prinzip
gleiche Stühle (noch einmal eine Gemeinschaftsarbeit Anatol Herzfeld/ Frank
Merks), solle sich auf die Ehe
beziehen, so Anatol. Ja, und ganz sicher mit direktem Blick auf die
Gleichberechtigung von Mann und Frau: Die thronähnlichen Stühle – aus Holz, das
eine Weile in einem Stausee in Surinam gelegen hat und dadurch von besonderer
Qualität ist – sind nämlich gleich groß. Auf je einer grünen, teils
dekorativen, teils eindringlichen Scheibe ist ein figürliches Symbol angebracht,
auf der einen ein Mann, auf der anderen eine Frau. Das Archaische dieser
Sitzmöbel und das Wissen, dass es in der Welt nach wie vor meistens der Mann
ist, der auf dem Thron sitzen darf, während es viel zu vielen Frauen immer noch
verwehrt ist, verleihen dem Kunstwerk märchenhafte Züge.
In der Apsis befindet sich eine Arbeit von Frank Merks: Die Bücher
der „Buchreligionen“. Sie beeindrucken, weil man erst beim genauen Hinsehen
erkennt, dass sie aus Holz sind. Ja, aus demselben oder zumindest ähnlichem
Holz geschnitzt – in den gerade aktuellen, stellenweise wieder aggressiver
werdenden Diskussionen durchaus ein Gedanke, den es sich zu denken lohnt. Denn
es bleibt uns doch nichts anderes, als friedlich mit Menschen anderer Kulturen
und Religionen an einem Tisch zu sitzen und unsere „heiligen Bücher“ friedlich
nebeneinander zu positionieren.
Etwas versteckt und unscheinbar befindet sich das gabelförmige Kruzifix
von Frank Merks zwischen Osterkerze und Taufbecken. Hier finden wir eine völlig
andere Auffassung als beim großen liegenden Kreuz: ein geglättetes Fundstück
oder Treibholzstück, das, sieht man genau hin, in seiner Mitte einen
Christuskopf birgt. Zwischen all den anderen, rechtwinklig betonten Objekten
wirkt dieses kleine Kruzifix wie ein winterlicher Baum, im Begriff, bald
weiterzuwachsen und neue Knospen zu treiben, wie als Bestätigung dafür, dass
Karfreitag nicht das Ende, sondern Ostern ist der Anfang ist.
Marlies Blauth