Blick in den Kirchraum
Jürgen Holitschke, 1949 geboren, hat von 1971 bis 1976 an der Kunstakademie bei Joseph Beuys studiert. Danach hat er als Künstler und Kunsterzieher gearbeitet. In seiner künstlerischen Arbeit in den Genres Fotografie, Malerei und Objekte hat er sich mit den Themen Kunst, Natur und Heimat auseinandergesetzt. Wunderbar gefallen mir auch seine Arbeiten zum Thema Fahrrad, die Objekte und eine Performance am Grubenrand des Tagebaus in Grevenbroich.
Der Buchsbaum, Buxus sempervirens – immergrüner Buchsbaum, wurde früher eingesetzt für Sichtschutzhecken oder Einfassungen, seit dem Barock ist der Buchsbaum beliebt als zugeschnittene Figur in Gärten und Parks.
Der Buchsbaum war
beliebt, weil er langsam wächst und gut duftet.
Bis der Zünsler eingewandert ist und sich von
seinen Blättern ernährt hat. Seitdem ist der Immergrüne nicht mehr grün. Seine
Aufgabe als Sichtschutz, Abgrenzung oder Zier konnte der Buchsbaum nicht mehr
erfüllen. Außerdem fallen die blätterlosen Gehölze als Energieumwandler aus,
produzieren keinen Sauerstoff mehr und können die Pflanze selbst nicht mehr
ernähren, der Buchsbaum stirbt. So
wurden die abgefressenen Gehölze als unnütze Gebilde und Störenfriede
des ästhetischen Empfindens der Besitzer ausgegraben, weggeworfen, verbrannt.
Seit mehreren Jahren widmet sich Jürgen
Holitschke dem Buchsbaum. Er verwandelt die Überreste in Kunstobjekte, setzt diese
in Szene und gibt den aus dem Abfall genommenen Gehölzen ihre Würde zurück.
Ihn fasziniert das Holz. Jedes Stück Baum ist
anders.
Seine Bearbeitung des ausrangierten Buchsbaums ist minimalistisch, sparsam im
Wegnehmen, sparsam im Hinzufügen.
Sein Handwerkszeug besteht aus: Messer, Schmirgelpapier, Anspitzer, Zugsäge.
An einigen Hölzern wurde mit einem Messer die Rinde entfernt, so dass das
helle, feinporige Holz sichtbar wird. Stämme wurden quer zersägt,
Schnittstellen wurden glatt geschliffen, und danach fühlen sie sich überraschend weich an. Zweige wurden angespitzt, gefärbt, geflämmt. Manche Hölzchen wurden an den Enden angespitzt,
manche wurden zusätzlich eingefärbt. Diese Enden lassen die Hölzchen wie
Bleistifte wirken. Arrangiert
in Schaukästen, wie wir sie aus der Schule kennen, vernetzt Jürgen Holitschke den künstlerischen Ausdruck mit seiner
Biografie als Künstler und Kunstlehrer und spielt mit der Biografie der Dinge.
Einige Exponate sind nicht nur vom Künstler
bearbeitet worden, sondern auch vom Gärtner geschnitten, vom Zünsler
angefressen, sie zeigen Spuren des Wachstums und auch die von Sonne, Wind und
Regen.
Exponate von verbrannten Buchsbäumen weisen auf die Zünslerinvasion hin, sind
jedoch in dieser Ausstellung nicht dabei.
Zwischen den Schaukästen sind ganze Büsche mit
Wurzeln zu sehen. Ihre Schatten auf der Wand verstärken das Geheimnisvolle.
Auch hier nutzt der Künstler die Veränderung der Wahrnehmung durch den Blick,
durch den Einfluss von Licht und Schatten. Mein Lieblingsobjekt ist der
quergehängte Buchsbaum, der Wurzelstock und Krone gleichwertig präsentiert.
Seit der ersten Ausstellung mit
Buchsbaumobjekten 2018 führt er die Arbeit am und mit dem Buchsbaum fort.
Verschiedene Ausstellungen folgten. Der Wechsel des Ortes beeinflusst die
Wahrnehmung. In Gemeinschaftsausstellungen eröffnen Bezüge zu anderen Kunstwerken neue
Perspektiven. In der Ausstellung –werkstoffnatur– unterstützen sich die Buchsbaumobjekte
und die Erdmalereien von Karin Gier wechselseitig und bringen den Kreislauf des
Lebens zum Leuchten.
Im Kunstprozess machte sich Jürgen Holitschke auf
den Weg, das Innere frei zu legen und die Spuren des Lebens ans Licht zu bringen!
Die Serie ALTES HOLZ erzählt vom Werden und
Vergehen.
Aus der Ferne sichtbar ist beim Betreten der
Kirche zunächst nur eine Ansammlung von blätterlosen Buchsbäumen, die schwebend
in der Apsis sich im Luftzug bewegen. Wo sonst der Blick hinter den Altar auf
sakrale Bilder fällt, hängen jetzt frech toten Gehölze. Bei jeder Drehung
scheinen sie einen anderen Gemütszustand widerzugeben. Welche Geschichten
stecken in den Wurzeln? Welche in den Kronen? Jede Bewegung gibt Anstoß, mit
Neugier und Fantasie uns den Objekten zu nähern.
Da, wo die Rinde entfernt wurde, erscheint das
weiße, nackte Holz wie bleiche Knochen in der Sonne. In Asien ist deshalb Weiß
die Farbe der Trauer und des Todes. Doch Jürgen Holitschkes spielerischer
Umgang mit den Objekten lädt uns ein, vom Tod her denkend das Leben selbst zu
würdigen.
Dass es kein Tabu ist, in der Kirche Kunst zu
präsentieren, hat mit unserer freien Gesellschaft zu tun. Wir haben die
Möglichkeit, Kunstwerke frei herzustellen und ohne Zensur auszustellen. Und als
Betrachter haben wir die Möglichkeit, frei zu interpretieren.
In Begriffen ausgedrückte Interpretationen erscheinen
unzureichend, betonte
Josef Beuys in einem Interview.
Wer die Macht hat, Begriffe zu definieren,
schreibt uns vor, wie wir zu denken haben. Die Bedeutungshoheit bestimmt keine
Autorität in unsrer Demokratie, sondern liegt beim Einzelnen.
Auch Jürgen Holitschke lässt sich durch Begriffe
nicht einengen, nicht in der Arbeit und nicht in der Interpretation. Er lässt
die Betrachter teilnehmen an seinem Weg, die Spuren des Werdens und Vergehens
ans Licht zu bringen.
Herzlichen Dank für Ihr Interesse.
Bleiben Sie gesund und in Frieden.
Inge Harms
18. Februar 2024