Sonntag, 15. Januar 2023

Johanna Sandau | Finsternis und Licht – Einführungsrede von Marlies Blauth

 







Finsternis und Licht

 


Liebe Gäste, liebe Johanna Sandau!

 

Energiekrise – Stromausfall – Blackout, das sind Vokabeln, die wir in den letzten Monaten neu gelernt haben. Was alles würde finster, wenn die Stromversorgung für längere Zeit ausfiele?

Dunkelheit, Kälte, Hilflosigkeit würden uns beherrschen – von all den technischen Geräten hängt buchstäblich unser Leben ab. Glücklicherweise ist uns diese Erfahrung bisher erspart geblieben.

Dunkel und düster ist das, wovor wir uns fürchten. Weil wir nichts oder nicht genug sehen.

Neben der „praktischen“ Funktion des Lichts – das uns die Umwelt sehen und erkennen lässt – gibt es auch eine andere, darüber hinausweisende: Begriffe wie Lichtblick, das Licht am Ende des Tunnels benutzen wir fast täglich – immer wenn es darum geht, aus einer unangenehmen, vielleicht seelisch dunklen Phase herauszukommen.

Das Licht muss etwas Tröstliches haben. Da scheint etwas auf.

Lichtungen kennen wir auch, ebenso lichte Momente, leuchtende Augen oder das sonnige Gemüt: Alles Gegensätze zur Finsternis.

Bei Jesaja 9,1 heißt es: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

Wenn man ins Kirchenjahr blickt, entdeckt man viele volkstümliche Bräuche, die mit Licht zu tun haben. Am Ende des Kirchenjahres steht der „graue“ November mit seinen Totengedenktagen. Ein Meer aus Grablichtern erinnert an die Verstorbenen. Mit dem Martinsfeuer und vielen bunten Laternen wird der heilige Martin gefeiert. Dann beginnt das neue Kirchenjahr: mit jedem Adventsonntag wird eine weitere Kerze angezündet, je weiter die Zeit vorrückt, desto heller wird es – bis am Heiligen Abend der Weihnachtsbaum „voll“ zum Leuchten gebracht wird. Es gibt Regionen, zum Beispiel die Fränkische Schweiz, in der um Weihnachten herum Lichtprozessionen stattfinden: Teile der Landschaft werden mit Feuern und Laternen erhellt.

Wunderbarerweise bot der bekannte göttliche Stern von Bethlehem ein Licht, das noch immer seinesgleichen sucht.

Das Licht als geheimnisvolle, göttliche Energie, als Christus als Licht der Welt zu den Menschen kam. Das „alte“ Datum des Weihnachtsfestes ist der 6. Januar und gilt in der Orthodoxen Kirche noch heute. In den westlichen Kirchen heißt es Epiphanias, Erscheinung Christi. Die Christusfeste im Kirchenjahr sind mit der Kirchenfarbe Weiß assoziiert, der hellstmöglichen Farbe, in der das gesamte Farbspektrum enthalten ist.

 




Damit Farben sichtbar sind, braucht es Licht. Ist es zu schwach, sehen wir nur verschiedene Grautöne.

„Graue Tage“ sind aber nichts, was wir haben wollen. Wir schenken uns Blumen oder packen Geschenke in farbiges Papier, um das Grau wegzufärben.

Oder wir schauen uns Kunst an. Die mit den Farben ganz unterschiedlich arbeitet.

Physikalisch erklärt, reflektieren und absorbieren die verschiedenen Farben, Farbpigmente, unterschiedliche Anteile des einfallenden Lichts.

Schwarz schluckt das Licht nahezu vollständig, Weiß dagegen reflektiert es fast ganz.

 




Johanna Sandau arbeitet mit vielen, feinen Farbnuancen. Zum Teil trägt sie das Farbmaterial lasierend (also transparent) nacheinander und übereinander auf – und und sorgt auf diese Weise für eine so genannte optische Farbmischung. Das ist ein Prinzip, das man von überlappenden Stücken Transparentpapier kennt, die man ins Licht hält.

Um ihre Nuancenvielfalt zu erzielen, mischt die Künstlerin die Farben natürlich auch so, wie man es noch vom Farbkasten kennt. Sie benutzt Acryl- und Ölfarbe. Die Ölfarbe mit ihrer Brillanz ist gut geeignet, um den Eindruck von Räumlichkeit zu unterstützen.

Landschaften. Bilder wie Fenster. Johanna Sandau lässt alle Details weg, sie abstrahiert auf das Wesentliche: Himmel, Wolken, Vegetation, Gewässer.

Johanna Sandau war bei uns schon mehrfach zu Gast, sie zeigte hier bereits eine Ausstellung zu Passion und Ostern und war an mindestens einer weiteren maßgeblich beteiligt. Wir freuen uns, dass sie auch diesmal den Aufwand nicht scheute, aus Bochum herzukommen und uns ihre Bilder aus der Serie „Horizonte“ eine Zeitlang zur Verfügung zu stellen. Danke!

Sie wurde 1963 in Düren geboren.

Nach Aufenthalten u. a. in Australien entschied sie sich, Kunst und Kunsttherapie zu studieren. Ihre Bilder sind und waren in vielen Kliniken und kirchlichen Räumen zu sehen – man kann es sich gut vorstellen. Die Ruhe und Lebhaftigkeit dieser Bilder sprechen eine vertraute Sprache, die nicht weit entfernt ist vom – im besten Sinne – Alltäglichen. Da muss nichts übersetzt werden.




Aber da ist auch etwas, das über das alltägliche Sehen hinausweist, auf etwas Höheres hindeutet. „Meditativ“ wirkten die Bilder, heißt es in einem Zeitungsartikel über Johanna Sandaus Kunst. Ein Begriff, der ja fast inflationär gebraucht wird; aber er stimmt hier. Die farbperspektivisch geöffneten Räume ermöglichen den Blick in die Tiefe und Weite, oftmals tatsächlich aus einem dunklen Vordergrund heraus in lichte Landschaften. Ein Blick ins Helle – ein Lichtblick eben.

Frühere Bilder von Johanna Sandau waren abstrakte Farbkompositionen, Farbfelder. Diese gewannen – mit dem Fortgang der künstlerischen Arbeit – immer mehr an Räumlichkeit, bis sie irgendwann „landschaftlich“ wurden.

Johanna Sandau ist viel draußen in der Natur, wandert, schaut genau hin und fotografiert auch. Ihre Landschaftsmalerei nimmt sich diese Fotos aber nicht zum Vorbild, sondern sie entsteht sowohl aus der Erinnerung als auch aus einer Eigendynamik heraus. So geht es auch nie um benennbare Orte, sondern um Eindrücke und Stimmungen. Die Bilder sind nahe am Scheitelpunkt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion: Zweifellos Landschaften, aber eben ohne Details. Wir sehen Vegetation, aber keine einzelnen Pflanzen; Berge und Hügel sind angedeutet, ohne genauere Ausformulierung von z. B. Felsformationen.

Johanna Sandau arbeitet allein mit der Farbperspektive, das heißt: Der spezielle Einsatz der Farbe generiert einen Eindruck von Räumlichkeit. Dazu gehört beispielsweise, den Vordergrund kontrastreicher darzustellen als Mittel- und Hintergrund. Auch ein stärkerer Rotgehalt definiert das „Vorne“.

Jeder von Ihnen kennt das Dunstig-Bläuliche, wenn man bei schönem Wetter in die Ferne schaut. Achten Sie mal darauf: Rötliche Töne werden in großer Entfernung optisch geschluckt. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Morgenrot und Abendrot. Es stellt das farbperspektivische Sehen gleichsam auf den Kopf; wahrscheinlich fasziniert es deswegen so besonders.

Die Landschaften von Johanna Sandau sind also eher symbolhaft-erinnert, nicht abgebildet: Sie zeigen uns Wege, Wege durch Schatten- und Lichtregionen, durch helle und dunkle Phasen.

Es ist wichtig, dass es beides ist, denn Licht und Schatten sind nicht nur Gegensätze, sondern bedingen einander. Wer jemals künstlerisch gearbeitet, Natur- und Objektstudien gemacht hat (gezeichnet oder auch fotografiert), weiß das.

Im gleißenden Licht sieht man bekanntlich auch nicht gut, denn es fehlt an Kontrasten. Man ist geblendet. Zuviel ist zuviel, es gibt Überbelichtung (auch bei Fotos), Schneeblindheit, Ikarus kam der Sonne zu nahe usw.

Johanna Sandau „erdet“ uns, die Betrachter. Auch so ein Modewort, das hier aber passt. Sie lässt uns unsere Wege gehen – nicht fliegen.

Möge auf die Schattenseiten bald wieder Licht fallen – das Licht der Welt.

 

Eines noch – zum Schluss: Johanna Sandau hat ihren Bildern keine Titel gegeben, sondern zu jedem Bild ein Haiku geschrieben.

Ein Haiku ist ein kurzes, oft dreizeiliges Gedicht mit bestimmten Silbenvorgaben; diese lyrische Form stammt wohl ursprünglich aus Japan und hat sich inzwischen über die ganze Welt verbreitet.

 

Zu ihrem dreiteiligen Bild in der Apsis schreibt sie:

 

Licht und Finsternis.

Am Himmel lichte Wolken.


Tief schwarzes Erdreich.

 

Ich rate diesmal besonders, etwas genauer auf die Preislisten zu schauen, denn dort sind die Haikus zu lesen.

Vielen Dank!

 

Marlies Blauth

 


 

Fotos

Einzelbilder / Portrait:  Johanna Sandau

Ausstellung: Marlies Blauth