In einer Woche ist Pfingsten,
und ich lese kurz aus der Bibel vor:
1 Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle –
Apostel – zusammen am selben Ort.
2 Da kam plötzlich vom Himmel her ein
Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze
Haus, in dem sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich
verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.
4 Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen,
in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.
Wie, meine Damen und Herren,
würden Sie dieses Geschehen illustrieren, malen, zeichnen, damit es nachvollziehbar
ist? Ein paar Gestalten zu zeichnen, auf die sich jeweils ein züngelndes Licht
setzt, würde der Sache vermutlich zu wenig gerecht, denn wir stünden ja nur
beobachtend am Rand.
Hier geht es aber darum, Energien
zu spüren (deswegen finde ich den Begriff Geistkraft
treffender), in Hoffnungslosigkeit aufgefunden zu werden, aufzubrechen und Begeisterung
zu entwickeln – und darum, trotz scheinbarer Sprachbarrieren verstanden zu
werden. Also um gelungene Kommunikation.
„In anderen Sprachen reden …
wie der Geist es ihnen eingab“. Es gibt bekanntlich nicht nur die gesprochene
Sprache, die Muttersprache, die Fremdsprachen, sondern auch Mimik und Gestik,
das Sprechen „zwischen den Zeilen“, die Sprache der Musik oder, in der Kunst,
die Bild- und Formensprache. Alles kann zur Kommunikation, zum Verstehen und
Verstandenwerden, beitragen.
Und deshalb zeigen wir hier
auch so oft und so gern Kunst.
Aber wir sammeln sie nicht an;
im ausgehenden Mittelalter geriet der Umgang mit Kunst oft zur protzigen
Zurschaustellung. Vor allem die Protestanten haben sich, durchaus verständlich,
lange davon distanziert. Bei aller Zurückhaltung wurden aber doch Kirchen
ausgemalt und farbige Glasfenster eingesetzt. Farbe wirkt auf den Menschen ein.
Wussten Sie, dass man in einem
blau gestrichenen Raum schneller friert als in einem roten, den man bei
gleicher Temperatur tatsächlich für wärmer hält? Dass ein apricotfarbener Raum
appetitanregend wirkt?
Dass Rot, wenn es sich vor
einem befindet, tatsächlich sehr kraftvoll ist, es in der Ferne aber gedämpft
erscheint, also deutlich an Leuchtkraft verliert?
Dass Rot eine „Kirchenfarbe“/
liturgische Farbe ist, allerdings die seltenste? So, als würde sie ihre Kraft,
ihre Power das ganze Jahr sammeln, um sie in der Pfingstwoche und an ganz
wenigen Tagen gleichsam in den Raum zu gießen?
Die Bilder von Simone Ramshorn
sind auch sehr kraftvoll. Sie sind voller farblicher Vielfalt und Bewegung. Ich
finde, sie kommen der Vorstellung dieses biblischen Brausens schon ziemlich nahe. Das ja, hier wie dort, auf keinen
Fall zerstörerisch wirkt, sondern in all seiner Lebhaftigkeit aufbauend,
anregend, beseelend. Da tut sich etwas auf, da öffnen sich Räume, in die man
neugierig-staunend hineinblickt und hineinspürt. Wir empfinden die
Farbtemperaturen, die Energien, wie sie uns fordern und herausfordern.
Simone Ramshorns Bilder sind
der informellen Kunst zuzuordnen, die sich eben nicht an sichtbaren,
wiedererkennbaren Gegenständen orientiert. Wichtig ist das, was auf der
Leinwand geschieht, was durch farb- und formgebende Materialien generiert wird.
Viele verschiedene Farben
wirken sinfonisch zusammen, bilden Lebenslandschaften,
nicht ganz ohne Schattenflächen; doch die Farben überstrahlen die Dunkelheit.
Die Künstlerin malt zunächst
schnell und emotional-gestisch, um dann, nach einigen Tagen, zur Feinarbeit
überzugehen, an den Zusammenhängen und Zusammenklängen zu feilen. Farbschichten
überlagern sich, und das trägt wiederum zur Dynamik in den Bildern bei. Zu
nennen sind hier auch die komplementären Kontraste Rot-Grün und Orange-Blau. In
dieser Kombination verstärken sich die Farben noch einmal besonders.
Interessant finde ich, dass die
Bilddynamik fast ohne Diagonale auskommt (in einer Bildkomposition die energievolle Richtung). Nur die
angedeutete Kreuzform im Apsisbild hat etwas Diagonales, fast Unfertiges, im
Werden Begriffenes.
Eine freundliche Dynamik, ein
Vorwärtskommen, ja, ein Genesungsprozess: Das haben wohl auch die Auftraggeber
so gesehen, deren Klinikräume Simone Ramshorn mit ihren Großformaten ausgestattet
hat (Klinik SGM Langenthal/Schweiz).
Zur informellen Kunst, um die
es hier wie gesagt geht, möchte ich den Kunsthistoriker und Museumsdirektor
Rolf Wedewer zitieren, der sie „im Spannungsfeld von Formauflösung und
Formwerdung“ (1) sieht. Diese Beschreibung trifft nicht nur auf unsere aktuellen Bilder zu,
sondern korrespondiert auch mit Pfingsten: Das Vergangene löst sich auf, und es
formiert sich etwas Neues, eine Gemeinschaft, in der man sich versteht. Egal ob
religiös oder nicht: Jeder sehnt sich danach. „Wir verstehen uns nicht“ ist immer eine traurige
Angelegenheit. Da kann Muttersprache zur Fremdsprache werden.
Die pfingstliche Thematik liegt
uns also näher als wir denken. Interessanterweise ist davon ja auch vieles in
unseren ganz alltäglichen Sprachgebrauch eingeflossen: Wir sprechen von kreativen
Berufen und von schöpferischen Tätigkeiten, von geistvollen Menschen (oder vom
Gegenteil, von Geistlosigkeit), von Inspiriertwerden, von Feuereifer und von
Feuertaufen (= Bewährungsproben), wir brennen für etwas, begeistern uns, sind
Feuer und Flamme, und haben wir zu wenig Energie, versuchen wir, sie irgendwo
zu bekommen, zu tanken.
Farben sind Energieträger,
daher ist es gut, sich Kunst anzusehen oder sich damit zu umgeben. Jeder kennt
allerdings auch die Energie, die Aufbruchstimmung, wenn sich eine Idee
gleichsam aus dem Nichts formiert, wenn sie einem einfällt.
Simone Ramshorn erzählt, dass
sie schon als Kind ständig gemalt hat. Ich kenne das auch. Woher kommt das? Woher
kommt diese Leidenschaft, aber auch fast unkindliche Geduld?
Letztens nahm ich an einem
Künstlergespräch teil, da stellte sich, mal wieder, die Frage, was Kunst ist
oder was sie ausmacht. Ist es gutes Handwerk? Sind es ästhetische Qualitäten?
Inhalte? Alles zusammen? Eine Künstlerkollegin konstatierte, dass es immer auch
einer Art göttlicher Eingabe bedarf, einer Inspiration, die nicht erklärbar
ist. Nur so, meinte sie, könne Kunst etwas ausstrahlen, was die Betrachter dann
auch erreicht.
Ich hoffe, unsere Ausstellung
erreicht Sie in diesem Sinne. Sie ist hiermit eröffnet.
Marlies Blauth
Fotos
oben: Simone Ramshorn
unten: Andreas Blauth