Meine Damen und Herren, Herr Pfarrer
Neefken, liebe Kirchengemeinde,
liebe Kunstfreunde und natürlich
liebe Frau Blauth, Herr Müller und
lieber Herr Theis!
Herzlichen Dank für die Einladung, hier in Osterath, erneut die Einführung zu einer Vernissage im Rahmen
des Projektes „Kunst in der Apsis“ halten
zu dürfen.
Die Ausstellung
findet diesmal nicht im Kirchenraum, sondern im Gemeindesaal statt, da zur Zeit
die Restaurierungsarbeiten an den Glasfenstern der Kirche ausgeführt werden.
Dies soll uns nicht weiter stören, auch wenn die aktuelle Gottesdienstbestuhlung
dafür sorgt, dass Sie in diesem Augenblick den 11 Ölgemälden von Martin Theis noch
überwiegend den Rücken zuwenden. – Das haben die Bilder aber nicht verdient!
Ich muss Sie also bitten, den Spagat zu meistern, nicht nur an meinen Lippen zu
hängen, sondern zugleich die Bilder zu betrachten.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut…!“,
könnte man scherzen; die Situation erinnert uns jedoch auch daran, dass Garten
und Landschaft in besonderer Weise auf die praktische Zuwendung eines pflegenden
Gärtners bzw. die geistige Zuwendung eines wahrnehmenden Betrachters verwiesen
sind.
Und jedes künstlerisch gestaltete
Bild, egal ob Foto, Gemälde oder Skulptur, bedarf eines empathischen, d. h. sich
einfühlenden und verstehen wollenden Betrachters.
Dies aber bedeutet sehr viel mehr
als das Einnehmen einer beliebigen „Rezeptionshaltung“, bei der die Wahrheit
alleine „im Auge des Betrachters“ liegt. Es geht darum, dem Werk gerecht zu
werden.
„Landschaft“, so lautet eine
berühmte Definition, „ist Natur, betrachtet durch ein Temperament.“ Und so
möchte ich mich den hier gezeigten „Gartenlandschaften“ zunächst über einige
biografische Anmerkungen zu ihrem Schöpfer und dessen künstlerischem
Temperament annähern.
Biografie
Martin Theis ist ein wortkarger und
nüchterner Typ. Um seine Person macht er nicht viel Aufhebens.
In der Vita, die er mir zuschickte, gibt
es keinerlei Angaben zu persönlichen Details: Geburtsort, -datum, Familienstand:
Fehlanzeige.
Ohne Umschweife kommt er zum Punkt: „…
studierte 1979 – 1985 freie Kunst an der Düsseldorfer Kunstakademie; zunächst
im O-Bereich bei Peter Kleemann und belegte dann kontinuierlich Skulptur und
Malerei bei Erwin Heerich.“ Gegen Ende des Studiums verbrachte Theis auch ein
Jahr mit Gerhard Richter und Gotthard Graubner, deren Einflüsse auf ihn nach
eigener Einschätzung jedoch gering blieben.
Studienbegleitend absolvierte er von
1983 bis 85 eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner und machte sich dann nach
dem Studium in diesem Beruf selbstständig.
"Zum Gärtner gehört das
Gestalten", sagt er. Und so verbindet Martin Theis den Brotberuf des
Gärtners mit seinen verschiedenartigen künstlerischen Interessen: In seinem privaten Garten zeigt er
regelmäßig seine Skulpturen. In den Gemälden behandelt er häufig die Themenbereiche
„Garten“ und „Landschaften“.
Diesem malerischen Aspekt in seinem
Schaffen ist die Sommerausstellung der Reihe „Kunst in der Apsis“ gewidmet. Sie versammelt unter dem Titel „Gartenlandschaften“
elf Ölgemälde mittleren Formats, die alle erst im vergangenen Jahr entstanden
sind. Die Ankündigung als „Vernissage“ trifft insofern auch genau den Charakter
dieser Ausstellungseröffnung, denn die Werke kommen, quasi noch ungefirnisst,
direkt aus dem Atelier in die Öffentlichkeit.
Das Thema der
Gartenlandschaften im kirchlichen Jahreskreis
Im kirchlichen Kontext verbindet
sich die Auswahl des Themas „Gartenlandschaften“ für diese Sommerausstellung zunächst
sehr naheliegend mit der Dominanz der liturgischen Farbe Grün in der feiertagslosen
Zeit nach Trinitatis.
Doch auch im Jahreskreis des
Gärtnerns findet die Ausstellung ihren sinnvollen Platz: Vor zweieinhalb Wochen war der Johannistag,
ein Heiligenfest, das gleichsam am Höhepunkt des astronomischen Jahres den
Beginn der kürzer werdenden Tage nach der Sommer-Tagundnachtgleiche markiert und das im bäuerlichen Kalender namensgebend ist für den sogenannten „Johannistrieb“. Das ist der sommerliche zweite Austrieb der Pflanzen, auf den üblicherweise
eine ganze Reihe von Arbeitsgängen des Beschneidens, Zurückbindens und Ordnens
im Garten folgt.
Wachstumsdynamik, das Begrenzen von
Bewegungen und strukturierendes Ordnen sind aber auch ganz wesentliche Motive
in den Bildschöpfungen von Martin Theis’ malerischen „Gartenlandschaften“.
Und so möchte ich über den gegenständlich-thematischen
Aspekt der Bilder hinaus Ihren Blick vor allem auf die Eigenheiten der
bildnerischen Gestaltung lenken.
Nicht zufällig finden sich hier in
allen gezeigten Arbeiten unterschiedlichste Wege-Elemente mit ihren jeweiligen
Eigenschaften: linear sich weit hinziehend, flächig sich ausbreitend, sanft
kurvend, scharf abknickend, mal als kurzer Abschnitt ohne erkennbares Woher und
Wohin, dann als scharfes Raster fast gewaltsam in die Landschaft
hineingeschnitten, zuletzt kaum ahnbar als Pfad, der erst noch durch das blühende
Dickicht eines üppig wuchernden Gartens gebahnt werden will.
All diese Eigenschaften gehen ein in
eine Gesamtstimmung der Bilder, die jeweils sehr stark getragen wird von der Farbigkeit
einerseits, aber auch der Rhythmik andererseits, von Engungen und Weitungen der
Linien, Flecken, Flächen, welche teils impressionistisch locker, dann wieder flächig
fest gefügt im Bild erscheinen.
So entsteht ein hochgestimmter
Zusammenklang von Momenten der Bewegtheit und des Innehaltens, der auch
jenseits der gegenständlichen Bildelemente sich gut beziehen lässt auf diesen sommerlichen
Wendepunkt des Jahres, kurz vor der Urlaubszeit mit ihrer Aussicht auf Rückschau
und Entspannung, auf dem Höhepunkt von üppigem Wachstum und Blüte kurz vor ihrem
Umschlag in die sanfte Melancholie des Spätsommers und beginnenden Herbstes.
Erinnerungsbilder
und Seelenlandschaften
Bis
hierher habe ich eine Reihe von eher außerkünstlerischen, z. B. biografischen
und vor allem vom thematischen Gegenstand her aufgefassten Aspekten genannt,
die zur Auswahl des Künstlers und seiner Gemälde für diese Ausstellung geführt
haben.
Was aber
lässt sich künstlerisch über diese Bilder sagen, die hinsichtlich ihrer Gegenständlichkeit
und ihrer an der klassischen Moderne orientierten Farbigkeit auf den ersten
Blick eher konventionell wirken?
Dazu
möchte ich zunächst jenes Gemälde näher betrachten, das auch für die
Einladungskarte verwendet wurde. Es ist nach mehreren Hinsichten aufschlussreich.
In seiner fleckigen
Struktur farbiger Tupfen wirkt es zunächst sehr impressionistisch; dieser
Eindruck wirkt noch verstärkt durch die Tatsache, dass sich Gruppen von Punkten
und Tupfen an einigen Stellen zu ausgedehnten Flächen, an anderen Stellen zu Lineaments
zusammenschließen und sich so in der Zusammenschau, einerseits schemenhaft und doch
mit unabweisbarer Gewissheit, der Eindruck eines landschaftlichen Ensembles
ergibt; mit einem hellen Feldweg mit grünem Mittelstreifen, flankierenden Baumreihen
und lichtdurchfluteten Durchblicken in die Weite der (allerdings) kaum zu
ahnenden Felder.
In das Landschaftsgrün
mischen sich naturferne bläulich-violette Schatten, die sich mitunter wie
Balken über das Motiv des Weges legen, und allmählich stellen sich zunehmend Irritationen
der Wahrnehmung ein.
Im Zentrum
des Bildes isoliert sich der abgeschnürte fernere Teil des Weges zu einer verselbständigten
Kreuzfigur, die wie die Aufsicht eines Wegekreuzes wirkt und stark in die
Bildfläche drängt. Damit erscheint der Mittelgrund wie von einem sehr hohen
fernen Betrachterstandpunkt aus betrachtet. Der rötliche Baum auf der rechten
Seite dagegen verharrt in seiner Frontalansicht. Die Perspektiven beginnen sich
zu dissoziieren. Der Betrachter gerät in eine schwebende, unklare Position
gegenüber dem Bildraum. Der grauviolette Schatten am rechten Wegrand wirkt wie
eine schemenhafte verselbständigte Figur. Fantasieleistung kompensiert die
Verunsicherung des Orientierungssinnes.
Auf dieses
Phänomen angesprochen, bestätigt Theis: „Meine Gemälde sind Seelenbilder“, und
bei anderer Gelegenheit nennt er sie „Erinnerungsbilder“; es sind häufig
gesehene Landschaftseindrücke, die er aus der Erinnerung – mitunter auch
gestützt durch Fotografien – rekonstruiert.
Im Unterschied
zum klassischen Impressionismus, der den subjektiven Landschaftseindruck
systematisch in lichthafte Farbpartikel zu zerlegen sucht, also analytisch
vorgeht, könnte man daher bei Theis von einer Art synthetischem Impressionismus
sprechen, der die durch konkrete Kunst und abstrakte Farbfeldmalerei
hindurchgegangenen Gestaltungsmöglichkeiten zu einer an klassischen Vorbildern erneuerten
Gegenständlichkeit rekombiniert.
Darin
steht er seinen akademischen Lehrern aus Düsseldorf am Ende womöglich doch auch
wesentlich näher, als er vielleicht selbst zu glauben geneigt ist.
Eine
Klassifizierung als „impressionistisch“ alleine auf der Grundlage der farbigen
Fleckenstruktur würde jedoch zu kurz greifen, und es erscheint mir daher angebracht,
in einem kleinen Einschub noch einige weitere Aspekte kurz anzusprechen.
Betrachtet
man die antinaturalistische Farbigkeit, insbesondere die Dominanz des
Grün-Violett-Klanges mit gelegentlichen Beiklängen von Rosa, Rot oder Orange,
so steht diese ganz eindeutig in der Tradition expressionistischer Malerei, vom
frühen Paul Gauguin bis zum späten Ernst-Ludwig Kirchner der späten 20er Jahre.
Mit Gauguin vergleichbar ist auch das synthetisch-surrealistische Zusammenfügen
gegenständlicher Naturmotive mit einer expressiven, sich flächenhaft
ausbreitenden Farbigkeit. (Vor allem hinsichtlich seiner Skulpturen, die in
dieser Ausstellung allerdings nicht vertreten sind, scheint mir ein enger
Zusammenhang mit Gauguin gegeben zu sein.)
Im
Unterschied aber zu Gauguin und den Malern der Klassischen Moderne, die sich
auf dem Weg in die Abstraktion zunehmend von tradierten Formen der
Gegenständlichkeit zu lösen versuchten, malt Theis vor einem ganz anderen
historischen Hintergrund, nämlich aus einer Position heraus, die bereits lange
nach dem Durchgang, durch die vollständige Abstraktion liegt.
Um dies
besser zu verstehen, weise ich auf das zweite Bild, betitelt „Sommerweg“, hin,
wo die breiten violetten Schatten unvermittelt in eine Sequenz grüner
Blockstreifen übergeht. Gegenständlich motiviert ist dieser Streifen als
Farbwechsel der Schatten im Gelände; für sich betrachtet aber könnte es auch
ein abstraktes Streifenmuster konkreter Kunst sein.
Sein
synthetisches Prinzip könnte man insofern auch noch etwas genauer als
„konstruktiv“ beschreiben. Ich meine damit die Tatsache, dass er aus letztlich
rein abstrakten Struktureinheiten eine Gegenständlichkeit konstruiert, die sich
nicht mit einer Attitüde der Künstlichkeit begnügt, sondern seinen Gegenständen
eine eigene Stimmung oder naturhafte Beseeltheit mitteilt.
Landschaften
zwischen „geometrischer Abstraktion“ und „neuer Figuration“.
Um dies
noch etwas weiter zu verdeutlichen, möchte ich auf die beiden Pole zwischen „geometrischer
Abstraktion“ und „neuer Figuration“ eingehen, zwischen denen sich die Arbeiten
von Martin Theis bewegen.
Dies
ermöglicht es uns dann in einem zweiten Schritt, ihn etwas genauer zwischen den
Malern seiner Generation einzuordnen.
Auf der
einen Seite finden sich Landschaften, deren Charakter durch menschliche
Eingriffe in die Natur geprägt ist: Einzäunungen, Wegenetze überformen die
Naturwüchsigkeit mit geometrischen Mustern.
Dies kann
einerseits sehr harmonisch wirken, wie in der Hügellandschaft mit Dorfstruktur
(„Stilles Dorf“, 2015), kann aber auch zu schroffen Gegensätzen geführt werden.
Am
schärfsten ausgeprägt ist dies bei der Stadtvedute von Düsseldorf
(„Düsseldorf“, 2015, 50 cm x 80 cm), wo sich breite Betonpisten geradezu in die
Rheinauen hineinfressen und eine eher düstere bis lebensfeindliche Gestimmtheit
vermitteln.
Auf der
anderen Seite findet sich die kleine quadratische Gartenlandschaft mit roter
Gartenstatuette („Garten mit roter Figur“, 2015, 50 cm x 50 cm).
Inmitten
eines Gartenstücks über dessen Heckenrand der Blick in die Ferne schweift,
steht auf einem Rasengeviert ein steinerner Sockel mit einer leuchtend roten
Gartenskulptur. Es handelt sich um eine weibliche Figurine mit ausgebreiteten
Armen, möglicherweise um eine Tänzerin. Den Eindruck einer fröhlichen Rhythmik
verstärkt nicht zuletzt das Echo ihres Schattenwurfs auf dem Rasen, am Fuße
ihres Sockelsteins. In den
ansonsten scheinbar menschenleeren Gärten und Landschaften auf Theis’ Gemälden
ist dies die einzige menschliche Gestalt, die auftaucht, wenngleich auch selbst
nur wieder als indirektes – das heißt im Kunstwerk vermitteltes – Abbild
menschlicher Gegenwart. In der
tänzerischen Haltung und der schreiend roten Farbe darf man wohl eine subtile
Anspielung auf den avantgardistischen Wandzyklus „Der Tanz“ von Henri Matisse
vermuten, den dieser 1912 für den russischen Mäzen Schtschoukin entworfen hat.
Hier allerdings in eine Einzelfigur und ins Freie eines Gartens transponiert.
Zugleich
drängt sich mir dabei der Vergleich mit einem Programmbild von Peter Angermann
im Kaiser-Wilhelm-Museum (Krefeld) auf, betitelt „Landschaft mit Joseph Beuys
als blindem Fleck….“, worin der karikaturhafte Umriss von Joseph Beuys als eine ebenso
leuchtend rote Aussparung im pastosen Farbauftrag einer Landschaft erscheint und
der so angesprochene auch noch in der Abwesenheit als Motor des
Wahrnehmungsprozesses charakterisiert wird. Bei Angermann
ist dabei die Landschaft jedoch nur noch als historisch überholtes Klischee in
ironischer Brechung, im bitterbösen oder sarkastischen Comic oder in der nostalgischen
Kinderbuchillustration möglich.
Ein weiterer
Altersgenosse dieser Malergeneration ist Michael van Ofen. Von ihm gibt es ebenfalls
im Kaiser-Wilhelm-Museum eine Landschaft,
die nunmehr dem anderen Pol der Gemälde von Theis zu vergleichen ist.
(Also den geometrisierenden Landschaften.) Bei van Ofen wird radikal die
Auflösung aller Landschaftselemente in reine Geometrie betrieben.
Er geht
darin deutlich weiter als Theis. Damit verbunden ist dann allerdings auch die Preisgabe
der Landschaft als ein eigenständig gestaltetes Abbild von Natur. Die
Landschaft wird zum reinen Ausgangsmaterial des künstlerischen Prozesses.
Zwischen
diesen beiden Extrempositionen spannt Martin Theis ein eigenes weites Spektrum
an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten aus, ohne den eigentlichen gegenständlichen
Kern seiner Gartenlandschaften preiszugeben. Dieses knorrige Beharren auf den Eigenwertigkeiten
von Landschaft und Natur als objektivierendem Gegenüber der künstlerischen und
schöpfenden Persönlichkeit entspricht vielleicht nicht dem allgemeinen
Zeitgeist, ist aber menschlich zutiefst sympathisch und von großer Ehrfurcht
vor der Natur getragen.
Und trotz
des im Grunde strukturbetonten und konstruktiven Malverfahrens, sind die Bilder
in einem fast altertümlichen Sinne komponiert.
Daher
möchte ich mit einem Zitat aus der „Philosophie der Landschaft“ (1913) des
großen Kulturphilosophen Georg Simmel enden, das auch nach einhundert Jahren seine
Gültigkeit nicht verloren hat:
„Wo wir wirklich Landschaft und
nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen, haben wir ein Kunstwerk
in statu nascendi.“
Stephan Michaeli
Stephan Michaeli ist Kunsthistoriker
und macht Museumsführungen in der Burg Linn und im Deutschen Textilmuseum,
Krefeld
Foto: Marlies Blauth