Karstjen Schüffler-Rohde: Schreibtafel. Zeichnung auf Karton, ca. 60 cm x 40 cm
Karstjen Schüffler-Rohde: Brotbrechen. Zeichnung auf Karton, ca. 40 cm x 60 cm
„Und er nahm das Brot“
Hände in der Bibel
Zeichnungen von Karstjen Schüffler-Rohde
„Yad Vashem“ – so heißt die bedeutende
jüdische Gedenkstätte in Jerusalem zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust.
Yad Vashem, das heißt übersetzt ganz einfach „Hand und Name“. Für mich bringt
diese Bezeichnung in genialer Weise auf den Punkt, was unsere Identität als
Menschen ausmacht: Jeder Mensch hat seinen individuellen Fingerabdruck, den es
kein zweites Mal auf der Welt gibt, und jeder hat einen Namen, der etwas von
seiner Person, seiner Individualität, seiner Einzigartigkeit widerspiegelt.
Hand und Name, sie zeigen etwas davon, wer wir als Menschen sind ...
Hände sind unser wichtigstes Werkzeug,
sie sind unser Instrument, mit der wir uns die Welt „begreifbar“ machen. Ganz
instinktiv schaut man bei einem neugeborenen Kind, ob auch alle zehn Finger dran
sind, weil wir um die unverzichtbare Bedeutung der Hände für uns wissen. Unsere
Hände ein so einzigartiges wie praktisches Kunstwerk der Natur – nur die Hände
von Menschenaffen, von Gorillas, Bonobos und Schimpansen können da einigermaßen
mithalten.
Hände können – je nach der
dahinterstehen Intention – zum Guten oder auch Schlechten eingesetzt werden.
Hände können streicheln und schlagen, segnen und zerstören, beschützen und
verletzen. Wir haben fast unzählige Begriffe dafür, was wir alles mit unseren
Händen tun können: tasten und halten, schreiben und essen, schneiden und
zeigen, fühlen und suchen, trösten und tragen, grüßen und abstimmen, arbeiten
und erzählen, malen und künstlerisch tätig sein ... Man könnte die Liste fast
ins Unendliche weiterführen.
Und genauso kennen wir zahllose
Redewendungen, in denen die Hände vorkommen:
Wir haben alle Hände voll zu tun, oder
wir legen die Hände in den Schoß.
Wir wehren uns mit Händen und Füßen, und
ein anderer wäscht seine Hände in Unschuld.
Manchmal hat jemand zwei linke Hände und
stellt sich ungeschickt an, dann müssen wir die Sache selbst in die Hand
nehmen.
„Hände hoch“, ruft die Polizei und lässt
sich das Heft nicht von Verbrechern aus der Hand nehmen.
Wir kaufen etwas aus erster Hand und
kehren manchmal mit leeren Händen zurück.
Man ist froh, wenn man etwas in gute
Hände abgeben kann, und reicht sich zur Versöhnung die Hand.
Aber oft sind einem auch die Hände
gebunden und ein anderer gewinnt die Oberhand ...
Auch in der Bibel kommen Hände vielfach
vor. Die Schöpfungsgeschichte am Anfang betont zwar, dass Gott alles durch sein
Wort aus dem Nichts schafft, doch daneben gibt es eben auch die Zweite
Schöpfungserzählung, die von der anthropomorphen Vorstellung lebt, dass Gott
aus dem Ackerboden den Menschen „macht“, gleichsam wie ein Töpfer oder Künstler
aus Lehm eine Figur formt. Die Hände Gottes werden an dieser Stelle zwar nicht
ausdrücklich erwähnt, aber wie sollte er sonst einen Menschen „formen“, wenn
nicht mit Händen? Und spätestens für die Beter der Psalmen ist das eine ganz
klare Sache: „Die Himmel sind das Werk seiner Hände“ (Ps 102, 26), „Deine
Hände (gemeint ist Gott) haben mich geformt und gemacht“ (Ps 119, 73). Und auch
der Mensch bittet darum, dass das Werk seiner Hände gedeihen möge (Ps 90, 17).
Biblisch-theologisch kann man sagen,
dass die Hände metaphorisch sowohl das Wirken als auch das Sein des Menschen
beschreiben, weil er durch seine Hände schafft, sich ausdrückt und darstellt.
Die Hand Gottes steht für sein Handeln und Eingreifen in die Geschichte und
seine überlegene Macht. Sie bietet Führung und Schutz, kann aber auch
dreinschlagen und strafen. Gott schreibt mit seiner Hand (Ex 31,18 Tafeln der
Zehn Gebote) und in seine Hand (Jes 49,16), was er nicht vergessen will.
Das Neue Testament kennt vor allem die
Handauflegung als Heilungs- und Segensgeste (Mk 6,5, Mk 10,13–16) aber auch die
Erwählung von bestimmten Personen, denen ein Amt übertragen wird (Apg 6,1–7)
und nicht zuletzt die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Auflegen der
Hände.
In der späteren kirchlichen Ausformung
sind alle Sakramente – unabhängig von katholischer oder evangelischer Tradition
– ganz bestimmte “Handlungen“, die untrennbar mit Gesten, Handgriffen,
Handauflegung oder sogar Salbungen verbunden sind.
Die Bilder der Künstlerin Karstjen
Schüffler-Rohde konfrontieren uns in dieser Ausstellung mit Händen in der
Bibel. Es ist die Konzentration auf ein – wenn auch oft zentrales – Detail, das
uns vielleicht stutzig werden lässt. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf:
Wer ist die Person dahinter? Wem gehören die Hände? Und wie geht die
dazugehörende Geschichte? Wovon erzählt sie?
Der Betrachter ist herausgefordert, nach
dem Hintergründigen, nach dem Ganzen des Geschehens zu fragen und so in die
Auseinandersetzung einzutreten.
Alle Bilder haben das gleiche Format und
sind auf den gleichen Karton gezeichnet. Die Materialien variieren: Bleistift,
Pastell oder Gouache.
Es sind exemplarische Szenen: Da wird um
die Hand einer jungen Frau angehalten, ihre Hände sind mit Goldreifen und
Ringen geschmückt. Da greift einer, der nicht mehr sprechen kann, in seiner Not
zu einem Schreibtäfelchen. Da sind Hände, die berühren, die segnen, die zärtlich
sind, Hände, die Brot teilen und einen Kelch halten.
Die Hände stehen hier pars pro toto.
Hände lügen nicht. Hände und das, was sie tun, sagen etwas über denjenigen aus,
dem sie gehören. Vielleicht kann man sogar sagen: Zeig mir deine Hände und ich sage dir, wer du
bist!
Yad Vashem – damit schließt sich der
Kreis: Hand und Name. Unsere Hände zeigen etwas davon, wer wir sind. Ob wir das
Brot mit anderen teilen oder nicht, macht einen großen Unterschied. Und die
Taten unsere Hände werden zeigen, ob wir zu Recht den Namen Mensch tragen.
Stephanie Lichters
Alle Zeichnungen: Karstjen Schüffler-Rohde. Karton, ca. 60 cm x 40 cm bzw. 40 cm x 60 cm