Predigt über Jakobus 5,7 – 8 gehalten am 6. Dezember 2015
(2. Advent) in der Ev. Kirche Osterath
Liebe Gemeinde!
"O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf."
So haben wir eben mit einem alten Adventslied gesungen.
Aber was meinen wir damit? Hättet ihr Konfirmanden eine Idee?
Oder wüssten Sie, liebe Gemeinde, das Kindern zu erklären?
Soll da jemand in himmlischen Sphären zum Sprint ansetzen, um
sich in unser vorweihnachtliches Getümmel zu stürzen?
Manfred Rekowski, der Präses unserer rheinischen Landeskirche, hat in diesen Tagen einmal gestanden: Als Kind und Jugendlicher konnte ich mir
keinen Reim machen. Dieses Lied löste bei mir nichts aus. Keine
vorweihnachtliche Stimmung, kein adventlich-erwartungsvolles Bild.
Allerdings wurde das anders, als er Jahre später mehr über den Verfasser
dieses Liedes erfuhr. Und über die konkrete Situation, in der er es schrieb.
So ist das ja bei vielen Liedern, vor allem auch bei manchen
anderen Adventsliedern.
Wenn wir ihre Entstehungssituation kennen, werden sie plötzlich
viel sprechender.
Friedrich von Spee, den Verfasser unseres Liedes, lebte von 1591
bis 1635.
Damals war es an vielen Orten üblich geworden, Frauen, die irgendwie
aus dem Rahmen fielen oder unkonventionell lebten, als Hexen zu verfolgen.
Sie wurden gefoltert und häufig öffentlich verbrannt.
Von christlichen Herrschern. In katholischen und auch in
evangelischen Gegenden, wo man sich sogar auf Predigten Martin Luthers berufen
konnte. Friedrich von Spee war selbst überzeugter katholischer Christ, ja
Priester.
Und was da geschah, das war ihm zuwider.
Er hat dieser Barbarei – als einer der wenigen damals – von seinem
Glauben her widersprochen. Er wollte diesem unmenschlichen Treiben Einhalt
gebieten. Und wenigstens dagegen ansingen. Und so schrieb er dieses alte
Adventslied.
Er griff dabei zurück auf Worte und Bilder der Propheten
Israels, wie wir sie eben auch in der Lesung schon gehört haben. Das war mutig
in seiner Zeit.
Seit Manfred Rekowski das wusste, mag er dieses alte Adventslied
sehr. Und ich auch.
"O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf“.
Ein leidenschaftliches Lied für andere Menschen und gegen die
Zustände, in denen sie leben müssen.
Wenn wir es heute singen, höre ich mit, wie Friedrich von Spee
wohl heute reden würde:
Gott, misch dich endlich ein!
Gott, greif ein! Gott, wende es zum Besseren!
Hexenverfolgungen gehören – Gott sei Dank – bei uns in Europa
längst der Vergangenheit an. Aber angesichts von Krieg und Terror und
millionenfacher Flucht hat das Jahrhunderte alte Spee'sche Lied dennoch nichts von
seiner Aktualität eingebüßt.
Darum singe ich es gerade in diesem Jahr gerne.
Denn gerade in diesen Wochen ist doch – einmal mehr – besonders
deutlich geworden, dass vieles anders werden muss auf unserer Welt.
Und wir ahnen, ja eigentlich wissen wir doch schon längst, dass
das auch für uns selbst und unser Land gelten muss bei all den Widersprüchen,
in denen wir leben.
In einem Land, das anderen sehr viel hilft und doch zugleich an
so vielen Stellen auch auf Kosten anderer auf unserer Welt lebt.
Mit euch Konfirmanden werden wir das in der kommenden Woche
näher durchbuchstabieren am Beispiel unserer Handys. Und dabei einmal mehr
feststellen: Weit weg ist näher als du denkst.
Dabei werden wir auch fragen und überlegen:
Was kann, was sollte ich selbst tun?
Was kann mein Beitrag sein zur Änderung?
Zur Verbesserung der Situation in unserer Welt?
Und sei sie noch so klein.
Denn das wird in der ganzen Bibel, schon bei den Propheten und
auch bei Jesus, deutlich. Gott will, ja kann die Welt nicht ohne uns ändern.
Darum stellt sich, immer wenn wir beten ‚Dein Reich komme‘
zugleich auch die Frage:
Was kann und soll auf unserer Seite geschehen, damit es kommen
kann.
Nun sind das in der Adventszeit vielleicht unbequeme
Überlegungen.
Und mancher wird vielleicht ganz zurecht denken:
Was soll ich denn nun noch alles tun?
Gerade in den letzten Wochen vor Weihnachten gibt es doch
sowieso so viel zu tun.
Oder wo wir meinen, dass es zu tun sei.
Klassenarbeiten sollen noch geschrieben werden.
Geschenke überlegt. Feiertage vorbereitet.
Jahresabschlussrechnungen gemacht.
An so viele Menschen gedacht werden.
Weihnachtspost geschrieben …
Da fühlen sich nicht wenige fast wie getrieben.
Aber geht es wirklich nur so?
»Wenn du es eilig hast, gehe langsam«. So lautet ein Ratschlag
des chinesischen Weisen Konfuzius.
Und eine ganz ähnliche Weisheit gibt allen, die auf Gottes
Kommen sehnsüchtig warten und auch uns heute am 2. Advent der Jakobusbrief mit,
aus dem der Predigttext für heute stammt.
So seid nun geduldig
bis zum Kommen des Herrn.
Siehe, der Bauer wartet
auf die kostbare Frucht
der Erde und ist dabei
geduldig,
bis sie empfange den
Frühregen und Spätregen.
Seid auch ihr geduldig
und stärkt eure Herzen;
denn das Kommen des
Herrn ist nahe.
Liebe Gemeinde!
Seid geduldig. Das wiederholt Jakobus zweimal. Wartet es ab.
Nicht dass es egal wäre. Nein: das griechische Wort, das Jakobus wählt, das
meint ein Warten in großer Leidenschaft.
So vielleicht, wie Kinder dem Heiligabend entgegenfiebern. Oder
Jugendliche dem ersten Rendezvous. Oder alte Menschen dem Besuch ihrer Kinder.
Seid geduldig, das klingt bei ihm fast wie ein Ich-kann-es-kaum-erwarten-Abwarten.
Und weil das gar nicht so leicht ist, fügt er noch hinzu: Stärkt
eure Herzen.
Denn das braucht es, um recht warten zu können.
Stärkt eure Herzen.
Das Herz ist ja das Zentrum unserer Lebenskraft.
Zugleich ist es auch so was wie das Organ unseres Wartens.
Wenn wir z. B. gespannt warten, schlägt unser Herz schneller – vor Aufregung, vor Vorfreude.
Ein schwaches Herz verträgt nicht so viel Aufregung, selbst
nicht so gespannte freudige Erwartung.
Das Herz ist aber nicht nur das Organ des Wartens. Zugleich ist
es bildlich der Ort, wo Gott wohnen will.
Die meisten von uns kennen sicherlich das Kindergebet ‘Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als
Jesus allein’, und so manche beten es auch heute noch mit ihren kleinen
Kindern, so wie ihre Eltern es mit ihnen gebetet haben. Manche finden vielleicht,
es ist ein naives Kindergebet.
Das mag sein.
Aber naiv heißt für mich da allein: kindlich, unbefangen.
Gewiss kann man viel komplizierter über Gott denken.
Erwachsene Menschen, die sich den Kopf zerbrachen über Gott und
die Welt, die kamen einmal zu Rabbi Mendel und fragten ihn: Wo wohnt Gott?
Und der weise Rabbi antwortete:
Gott wohnt, wo wir ihn einlassen.
Und das sagt doch nichts anderes als dieses Kindergebet.
Und das heißt ja zugleich: Versöhnung, Friede und menschliche
Wärme –
all das, wofür ich gerade in der Adventszeit besonders
empfänglich bin, das ereignet sich in meinem Umfeld kaum, ohne dass es auch in
mir Raum findet.
‚Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein’.
Stärkt eure Herzen. Und das heißt auch: Lasst Gott ein in eure
Herzen.
Dorthin will er kommen. Dort will er wohnen.
Ohne unser offenes Herz, unseren Entschluss und unsere Hingabe, ohne
unsere Liebe und Hoffnung, ja auch ohne unser Zutun kann sich nicht erfüllen,
was Gott uns für unser Leben wünscht und was er für seine Welt
will.
Und trotzdem – oder ich denke eigentlich: gerade deshalb – heißt
es zugleich:
Seid geduldig. Und das heißt auch:
Meint nicht, darum liege alles an euch und in eurer Hand.
Tatsächlich können wir ja so vieles nicht selbst machen oder
auch nur beschleunigen.
Jakobus führt uns das vor Augen mit dem wunderbaren Bild vom
Bauern.
Ja – der hat viel zu tun und viel gearbeitet. Das Feld vorbereitet. Gesät.
Doch dann kann er nur geduldig warten auf den Regen.
Damit die Frucht der Erde wachsen kann.
Das, was da wächst, das ist ja nicht irgendetwas. Sondern das,
was er im kommenden Winter not-wendig zum Überleben braucht.
An dem Beispiel des Bauern, das Jakobus hier wählt, wird sehr schön
deutlich, dass es in unserem Leben auch an zentralen Stellen ein Warten gibt, das
wir von uns nicht beschleunigen können und auch nicht sollen.
Wie es uns sonst ergehen würde, das zeigt eine wunderbare kleine
Geschichte,
die von einem anderen Bauern erzählt.
Er hatte seinen Acker gut vorbereitet, gepflügt und gesät. Doch
nach ein paar Wochen, da wunderte er sich, dass die Saat so langsam aufging.
Von Tag zu Tag wurde seine Geduld geringer. Er konnte vor Sorge nicht mehr schlafen.
Schließlich hatte er eine Idee.
Er lief zu seinem Feld und begann, die kleinen zarten Halme
etwas in die Höhe zu ziehen. Das war natürlich eine mühsame Arbeit; aber
schließlich war er fertig.
Er kam nach Hause und sagte seiner Frau:
Ich habe meinem Korn beim Wachsen geholfen.
Ahnungsvoll lief sie mit ihm zum Feld zurück.
Und dann sahen es beide: alles war zerstört und verwelkt.
Noch lange lachte man in seinem Dorf über den Mann, der nicht
warten konnte.
Seid geduldig – ich höre diesen Rat des Jakobus heute in unserem
Advent auf doppelte Weise.
Zum einen als Ermutigung: Haltet fest an der Hoffnung,
dass Gott seine Welt zurechtbringen wird, dass er zu uns kommen
wird, um seinem Reich Geltung zu verschaffen.
Liegt ihm dabei mit eurer Hoffnung ruhig in den Ohren wie die
Propheten
oder wie Friedrich von Spee mit seinem Lied.
Seid geduldig –
zugleich höre ich darin die Warnung vor dem Wahn, wir Menschen
könnten und müssten alles selbst tun.
Vielleicht ist Gelassenheit ein noch besseres Wort.
In diesem Wort, Gelassenheit, klingen andere Worte mit: ich kann mich einlassen, kann wachsen lassen, kann auch geschehen
lassen, etwas zulassen, kann schließlich auch loslassen.
Solche Gelassenheit tut uns gut. Sie kann helfen, wenn Zeiten
des Wartens,
wenn schwere Zeiten uns zu lang zu werden drohen.
Solche Gelassenheit tut uns auch gut, wenn wir enttäuscht
merken, wie unser Tun nicht erreicht, was wir uns erwarten. Wenn wir merken: meine Kinder, meine Familie, meine Gemeinde,
die Welt um mich herum wächst nicht so, verhält sich nicht so, wie ich es mir
erhoffe.
Von Oetinger stammt das bekannte Gebet:
Gott gebe mir die
Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern
kann,
den Mut, Dinge zu
ändern,
die ich ändern kann,
und die Weisheit,
das eine vom andern zu
unterscheiden.
Aber wenn ich nun doch so ungeduldig bin?
Es gibt ja doch auch eine wichtige und richtige Ungeduld, die
sich nicht vorschnell abfindet mit Dingen, die sich doch – um Gottes willen –
ändern müssten.
Darum ist es gut, wenn wir auch in unserer Zeit im Advent ungeduldig
mit Friedrich von Spee singen:
O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab, vom Himmel lauf.
Doch weil der Grat oft schmal ist, bis uns unsere Ungeduld so
zum Handeln treibt wie den Bauern, der den Grashalmen beim Wachsen helfen will in
der kleinen chinesischen Geschichte, ist es auch gut, wenn wir uns die
Ermutigung und Warnung des Jakobus wirklich zu Herzen nehmen und uns
gegenseitig – mit dem nächsten Lied – ermutigen:
Verlier nicht die Geduld.
Inmitten aller Schuld ist Gott am Werke.
Denn der in Jesus Christ
ein Mensch geworden ist, bleibt unsre Stärke.
Amen.
Pfarrer Dr. Gerhard Saß
Bild: Karstjen Schüffler-Rohde
Foto: Gudrun Junker