Mojo Mendiola – Erntedank
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Im Rahmen des Ausstellungsprojektes „Kunst in der Apsis“ präsentiert in den kommenden Wochen der
Krefelder Künstler Mendiola achtzehn
Werke, die sich in mehreren thematischen Gruppen auf zwei Räume verteilen und
besonders im Hinblick auf ihren
Bezug zum heutigen Erntedankfest
ausgewählt wurden.
So ist eine Gruppe von Bildern zu nennen, die den Schutz der
Grundnahrungsmittel thematisiert, oder das Bienenbild der Einladung, welches
motivisch direkt auf Erntedank anspielt, und einige Bilder mit stilllebenhaften
Arrangements von Festtafeln und Weingläsern, die ebenfalls dieser Thematik
zugeordnet werden können.
Es handelt sich bei diesen Arbeiten überwiegend um Digitaldrucke mittleren und großen
Formats, wie z. B. das große Banner in der lichtdurchfluteten Apsis hinter dem
Altar, sowie um zwei kleinformatige
plastische Objekte, die der Künstler „Medi-Mades“ nennt (ebenfalls in der Apsis).
2 „Medi-Mades“
Das ist ein Kunstwort, das aus dem englischen „Readymade“, der von Marcel Duchamp
eingeführten Bezeichnung für einen künstlerisch verfremdeten Fundgegenstand
(auch „objet trouvé“), und dem englischen Wort „medical“ – also: „medizinisch“ – gebildet ist und darauf
verweist, dass Mendiola absichtsvoll die Abfallmaterialien von medizinischen
Einwegsgegenständen verwendet, seien es nun Einwegspritzen (wie in einer Arbeit, die z. Z. in der Krefelder
Galerie Heidefeld am Ostwall zu sehen ist) oder Tablettenverpackungen – wie auf dem zentralen Bild mit dem
springenden Fisch – oder auch den von Asthmatikern verwendeten Respiratoren, die
in den beiden genannten Objekten Verwendung gefunden haben.
3 „Digitale Malerei“
Seine digitalen Drucke auf schwerem Papier – nur bei den
Großformaten dient auch Leinwand als Bildträger –, bezeichnet Mendiola selbst als „digitale Gemälde“ oder „digitale Malerei“.
Obwohl die Arbeiten nicht nur in dieser Ausstellung absichtsvoll
schmucklos, fast beiläufig präsentiert werden, d. h. ganz ohne Rahmung und wie
an die Wand gepinnte Plakate, sind sie ausdrücklich nicht als Auflagenobjekte
konzipiert. Streng limitiert und, wie Mendiola betont, ohne Benutzung von
Farbmanagementsystemen, werden sie Pixel für Pixel unter seiner künstlerischen
Kontrolle gefertigt.
So gesehen, stehen seine Bilder in einer unterschwelligen
Traditionslinie zu den pointillistischen Bildern Seurats, der am Anfang des
letzten Jahrhunderts damit begonnen hatte, die Bildfarbe nach
wissenschaftlichen Gesichtspunkten in ihre Grundfarben zu zerlegen und nach den
Prinzipien optischer Mischung neu zusammenzusetzen. Die gesamte Technik des
modernen Mehrfarbendrucks beruht letztlich auf dieser künstlerischen und
kunsttheoretischen Innovation Seurats.
4 Psychedelischer Farbrausch und
ausgelaugte Blassfarben
Mit solchen eher technisch bedingten Analogien zur chromoluminaristischen Farbgestaltung
des frühen 20. Jahrhunderts kommt man jedoch nicht sehr weit.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die
Gestaltungsprinzipien von Mendiolas Farbigkeit ganz wesentlich aus anderen
Quellen gespeist werden.
Einzelne Werke wie das zentrale Apsismotiv eines springenden
Fisches weisen eine reduzierte
Farbigkeit – in diesem Falle die Konzentration auf einen dominierenden
Blaugrauton – auf.
Ähnlich auch das auf einen Orangeton gestimmte Bild mit Teeservice
und Orangen am Strand. („Tea and Oranges“)
Andere wiederum zeigen eine pastellartige, ausgezehrte Blässe, als habe die Druckerfarbe nicht
ausgereicht. Man vergleiche die schemenhafte Menschengruppe unter einer
Straßenlaterne. („Wartende am Abend“)
Die meisten der Bilder aber zeigen eine rauschhafte Buntfarbigkeit mit teils spektralartig fließenden Übergängen, teils auch komplementärfarbig springenden Kontrasten.
Diese erinnern z. T. an Falschfarbendarstellungen
wie sie in zerstörungsfreien technischen Prüfverfahren Anwendung finden, aber
auch an die psychedelischen
Farbenexperimente auf zahlreichen Plattencovern der 70er Jahre.
Die Warenwelt der Werbeästhetik
lässt ebenfalls grüßen und vermittelt ein unbehagliches Gefühl, als sei hier
etwas einfach zu schön, um wahr zu sein.
5 Biografie
Es liegt nahe, einige Charakteristika dieser Farbgestaltung mit
der Lebensgeschichte des Künstlers in Verbindung zu bringen.
Mojo Mendiola ist 1954 in Kempen am Niederrhein geboren
und in Büderich aufgewachsen.
Er studierte Literaturwissenschaft
und Amerikanistik mit dem Interessenschwerpunkt afroamerikanische Kultur, schlug aber nicht die vorgesehene
Laufbahn als Lehrer ein, sondern strebte als Bluessänger eine Musikerkarriere an, die ihn bis nach New York
führte, wo er zahlreiche Jazzgrößen
kennen lernte und fotografierte.
Nach Beendigung seiner Bühnenlaufbahn und der Rückkehr nach Deutschland setzte
er die bereits begonnene fotojournalistische Tätigkeit zunächst in Hamburg fort, hat ein Kinderbuch herausgebracht und schreibt
nach seiner Rückkehr ins Rheinland weiterhin musikjournalistische Beiträge für
die Rheinische Post.
Seit 2007 lebt er in Krefeld und hat, aus der journalistischen
Tätigkeit der digitalen Bildbearbeitung heraus, seine bildkünstlerischen
Arbeiten entwickelt, vor denen wir hier stehen.
Er selbst sagt von sich, er sei „Surrealist aus Erfahrung“.
6 Intermezzo
Als ich zusagte, diese Einführung zu halten, hatte ich Herrn
Mendiola noch nicht persönlich kennen gelernt und aus dem Internet nur eine
recht vage Vorstellung von dem, was mich erwarten würde.
Seither habe ich ein interessantes Gespräch mit ihm führen
können, habe die Doppelausstellung mit Jos Deenen in der Galerie Heidefeld
gesehen, die ihn unter dem Gesichtspunkt digitaler Collage mit einer ganz
anders gearteten künstlerischen Persönlichkeit kontrastiert, und war
erleichtert zu sehen, dass die fertigen Arbeiten sehr viel haptischer und
weniger glatt wirken als im Entwurfszustand auf dem Computer-Bildschirm.
Gleichwohl ist mir der Eindruck geblieben, dass die Annäherung
an diese Bilder nicht ganz leicht fällt, und der scheinbar leichten Lesbarkeit
ihrer Motivsymbolik doch stets etwas latent Beunruhigendes und Abgründiges
anhaftet; nicht zuletzt hinsichtlich ihrer farbigen Erscheinung.
7 Exkurs
Ich unterlasse
hier einen ursprünglich geplanten historischen
Exkurs zum Symbolbegriff bei
Augustinus, dem Wandel
traditioneller christlicher Symbolik zum Symbolismus im 19. Jahrhundert und
zu den verschiedenen surrealistischen
Strömungen im 20. Jahrhundert.
Dies würde zu weit von den Bildern Mendiolas wegführen. Statt
dessen beschränke ich mich darauf, einige dieser Aspekte im Hinblick auf die
hier gezeigten Arbeiten anzudeuten.
8 Neosurrealistische Aspekte
Bei Mendiola finden sich sowohl die anarchisch-poetischen
Ansätze des Surrealismus wie auch dessen agitatorisch-politische, die
allerdings stets ein wenig die Gefahr der Verflachung zum Agit-Prop in sich
tragen.
Nicht ganz zufällig erinnern das Bienenbild und die Bildergruppe
mit den Grundnahrungsmitteln Kartoffeln, Reis, Mais, Weizen unter einem
Schutzschirm an die politisch korrekten Postkartenbotschaften von Klaus Staeck,
den Mendiola sehr schätzt.
Beim zweiten Hinsehen stellt sich mir vor dieser Bildserie aber die
Frage: fehlt hier nicht ein ganzer Kontinent? Wo ist die Hirse, die für Afrika
stehen könnte? Ist die Armut der einzige Schutz vor dem ökonomischen Zugriff
der Agrokonzerne, die den Gen-Pool sämtlicher Grundnahrungsmittel unter ihr
Saatgutmonopol zu bringen trachten?
9 Bittere Ernte
Eindeutig politisch ist auch das Stillleben mit gedecktem Tisch
und Gläsern. („Erntedank“)
Der Panzer auf dem Teller, der sich in der üppigen Farbenpracht
versteckt, wirkt zunächst fast wie ein Stück Torte. Erst beim näheren
Hinschauen entpuppt er sich als der bittere Beigeschmack zum Erntedankfestmahl,
das uns hier aufgetischt wird.
Eher poetisch ist dagegen ein zweites Gemälde, das ein
Gläserstilleben mit einer paradiesartigen Landschaft und einem Hasen
kombiniert. („Welchen Wein möchte ich für meine Sauce?“)
Die Schwerkraft scheint hier aufgehoben, die Flüssigkeit steht
schräg in den Gläsern und deutet an, dass hier etwas schief läuft. Eine
Allegorie der Trunksucht vielleicht, in der der schöne Schein längst anderen
Gesetzen folgt als denen der Realität?
Oder geht es um die Frage ob diese Gläser eher halb voll oder
eher halb leer sind? Aufs Ganze betrachtet lässt es sich nur statistisch
beantworten: sie sind beides, aber eben im Durchschnitt.
10 Zwischen Aufstieg und Fall
Das große Apsisbild mit dem Symbol eines springenden Fisches
(„Springender Fisch unterm Lichtkreuz“) wirkt auf den ersten Blick wie eine
traditionelle christliche Auferstehungs-Ikonographie.
Der Fisch als Symbol Christi erhebt sich aus dem Wasser wie zur
Himmelfahrt, dem Licht entgegen, das durch das kreuzförmig geteilte Fenster
fällt.
Doch das Bild kippt: Es ist kein lebensfroher Lachs, der in
freiem Gewässer den Laichplätzen entgegen springt. Es handelt sich um einen gefluteten
Innenraum – wie ein Gefängnis; das Licht fällt von außen herein: Ist der Fisch
also gesprungen um sich der drangvollen Enge einer Fischfarm zu entziehen, oder
ringt er um Sauerstoff in einer müllverseuchten Kloake, wie es die am unteren
Bildrand montierten Plastikabfälle andeuten? Der Befreiungsversuch wird
jedenfalls kaum von Erfolg gekrönt sein, der Fisch wird zurückfallen in sein
altes Element, dem er vergeblich zu entkommen trachtet. Es ist also eher ein Bild
des Schmerzes als des Triumphs. Und die blaue Farbe gibt hier den Klang eines
Blues vor.
Aber gönnen wir diesem Fisch einstweilen seinen andauernden Schwebezustand
zwischen Aufstieg und Absturz.
11 Getrieben von Hoffnung
Einen letzten Blick möchte ich noch auf das kleine Medi-Made
lenken, das wie ein geschnitztes afrikanisches Holzboot aussieht.
Die Scheibe des Atmadisk (ein Respirator für Asthmapatienten) wird
zum überdimensionierten Kopf, der mit all seiner Kraft in das Segel einer Hoffnung
bläst, welche das kleine Boot über einen unabsehbaren Ozean an den imaginären
Ort besseren Lebens treiben soll. Kann das gelingen?
Mendiola trifft damit in einer anrührend poetischen Weise in das
Zentrum der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematiken und macht uns bewußt, welch bittere
Ernte einer verfehlten Entwicklungs- und Friedenspolitik wir zur Zeit alle
miterleben.
Wenn Bilder in dieser Weise betroffen machen – und man könnte hinzufügen: einen subversiven
Stachel setzen –, ist das gewiss nicht das Schlechteste, was man über diese
Bilder und ihren Schöpfer sagen kann.
Stephan Michaeli
Stephan Michaeli ist Kunsthistoriker und macht Museumsführungen
in der Burg Linn und im Deutschen Textilmuseum, Krefeld