Samstag, 17. Oktober 2015

Mojo Mendiola – Erntedank














Mojo Mendiola – Erntedank



1

Im Rahmen des Ausstellungsprojektes „Kunst in der Apsis“ präsentiert in den kommenden Wochen der Krefelder Künstler Mendiola achtzehn Werke, die sich in mehreren thematischen Gruppen auf zwei Räume verteilen und besonders im Hinblick auf ihren Bezug zum heutigen Erntedankfest ausgewählt wurden.
So ist eine Gruppe von Bildern zu nennen, die den Schutz der Grundnahrungsmittel thematisiert, oder das Bienenbild der Einladung, welches motivisch direkt auf Erntedank anspielt, und einige Bilder mit stilllebenhaften Arrangements von Festtafeln und Weingläsern, die ebenfalls dieser Thematik zugeordnet werden können.
Es handelt sich bei diesen Arbeiten überwiegend um Digitaldrucke mittleren und großen Formats, wie z. B. das große Banner in der lichtdurchfluteten Apsis hinter dem Altar, sowie um zwei kleinformatige plastische Objekte, die der Künstler „Medi-Mades“ nennt (ebenfalls in der Apsis).

2 „Medi-Mades“

Das ist ein Kunstwort, das aus dem englischen „Readymade“, der von Marcel Duchamp eingeführten Bezeichnung für einen künstlerisch verfremdeten Fundgegenstand (auch „objet trouvé“), und dem englischen Wort „medical“ – also: „medizinisch“ – gebildet ist und darauf verweist, dass Mendiola absichtsvoll die Abfallmaterialien von medizinischen Einwegsgegenständen verwendet, seien es nun Einwegspritzen (wie in einer Arbeit, die z. Z. in der Krefelder Galerie Heidefeld am Ostwall zu sehen ist) oder Tablettenverpackungen – wie auf dem zentralen Bild mit dem springenden Fisch – oder auch den von Asthmatikern verwendeten Respiratoren, die in den beiden genannten Objekten Verwendung gefunden haben.

3 „Digitale Malerei“

Seine digitalen Drucke auf schwerem Papier – nur bei den Großformaten dient auch Leinwand als Bildträger –,  bezeichnet Mendiola selbst als „digitale Gemälde“ oder „digitale Malerei“.
Obwohl die Arbeiten nicht nur in dieser Ausstellung absichtsvoll schmucklos, fast beiläufig präsentiert werden, d. h. ganz ohne Rahmung und wie an die Wand gepinnte Plakate, sind sie ausdrücklich nicht als Auflagenobjekte konzipiert. Streng limitiert und, wie Mendiola betont, ohne Benutzung von Farbmanagementsystemen, werden sie Pixel für Pixel unter seiner künstlerischen Kontrolle gefertigt.

So gesehen, stehen seine Bilder in einer unterschwelligen Traditionslinie zu den pointillistischen Bildern Seurats, der am Anfang des letzten Jahrhunderts damit begonnen hatte, die Bildfarbe nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten in ihre Grundfarben zu zerlegen und nach den Prinzipien optischer Mischung neu zusammenzusetzen. Die gesamte Technik des modernen Mehrfarbendrucks beruht letztlich auf dieser künstlerischen und kunsttheoretischen Innovation Seurats.

4 Psychedelischer Farbrausch und ausgelaugte Blassfarben

Mit solchen eher technisch bedingten Analogien zur chromoluminaristischen Farbgestaltung des frühen 20. Jahrhunderts kommt man jedoch nicht sehr weit.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Gestaltungsprinzipien von Mendiolas Farbigkeit ganz wesentlich aus anderen Quellen gespeist werden.

Einzelne Werke wie das zentrale Apsismotiv eines springenden Fisches weisen eine reduzierte Farbigkeit – in diesem Falle die Konzentration auf einen dominierenden Blaugrauton – auf.
Ähnlich auch das auf einen Orangeton gestimmte Bild mit Teeservice und Orangen am Strand. („Tea and Oranges“)
Andere wiederum zeigen eine pastellartige, ausgezehrte Blässe, als habe die Druckerfarbe nicht ausgereicht. Man vergleiche die schemenhafte Menschengruppe unter einer Straßenlaterne. („Wartende am Abend“)
Die meisten der Bilder aber zeigen eine rauschhafte Buntfarbigkeit mit teils spektralartig fließenden Übergängen, teils auch komplementärfarbig springenden Kontrasten.
Diese erinnern z. T. an Falschfarbendarstellungen wie sie in zerstörungsfreien technischen Prüfverfahren Anwendung finden, aber auch an die psychedelischen Farbenexperimente auf zahlreichen Plattencovern der 70er Jahre.
Die Warenwelt der Werbeästhetik lässt ebenfalls grüßen und vermittelt ein unbehagliches Gefühl, als sei hier etwas einfach zu schön, um wahr zu sein.

5 Biografie

Es liegt nahe, einige Charakteristika dieser Farbgestaltung mit der Lebensgeschichte des Künstlers in Verbindung zu bringen.
Mojo Mendiola ist 1954 in Kempen am Niederrhein geboren und in Büderich aufgewachsen.
Er studierte Literaturwissenschaft und Amerikanistik mit dem Interessenschwerpunkt afroamerikanische Kultur, schlug aber nicht die vorgesehene Laufbahn als Lehrer ein, sondern strebte als Bluessänger eine Musikerkarriere an, die ihn bis nach New York führte, wo er zahlreiche Jazzgrößen kennen lernte und fotografierte. Nach Beendigung seiner Bühnenlaufbahn und der Rückkehr nach Deutschland setzte er die bereits begonnene fotojournalistische Tätigkeit zunächst in Hamburg fort, hat ein Kinderbuch herausgebracht und schreibt nach seiner Rückkehr ins Rheinland weiterhin musikjournalistische Beiträge für die Rheinische Post.
Seit 2007 lebt er in Krefeld und hat, aus der journalistischen Tätigkeit der digitalen Bildbearbeitung heraus, seine bildkünstlerischen Arbeiten entwickelt, vor denen wir hier stehen.
Er selbst sagt von sich, er sei „Surrealist aus Erfahrung“.

6 Intermezzo

Als ich zusagte, diese Einführung zu halten, hatte ich Herrn Mendiola noch nicht persönlich kennen gelernt und aus dem Internet nur eine recht vage Vorstellung von dem, was mich erwarten würde.

Seither habe ich ein interessantes Gespräch mit ihm führen können, habe die Doppelausstellung mit Jos Deenen in der Galerie Heidefeld gesehen, die ihn unter dem Gesichtspunkt digitaler Collage mit einer ganz anders gearteten künstlerischen Persönlichkeit kontrastiert, und war erleichtert zu sehen, dass die fertigen Arbeiten sehr viel haptischer und weniger glatt wirken als im Entwurfszustand auf dem Computer-Bildschirm.

Gleichwohl ist mir der Eindruck geblieben, dass die Annäherung an diese Bilder nicht ganz leicht fällt, und der scheinbar leichten Lesbarkeit ihrer Motivsymbolik doch stets etwas latent Beunruhigendes und Abgründiges anhaftet; nicht zuletzt hinsichtlich ihrer farbigen Erscheinung.

7 Exkurs

Ich unterlasse hier einen ursprünglich geplanten historischen Exkurs zum Symbolbegriff bei Augustinus, dem Wandel traditioneller christlicher Symbolik zum Symbolismus im 19. Jahrhundert und zu den verschiedenen surrealistischen Strömungen im 20. Jahrhundert.
Dies würde zu weit von den Bildern Mendiolas wegführen. Statt dessen beschränke ich mich darauf, einige dieser Aspekte im Hinblick auf die hier gezeigten Arbeiten anzudeuten.

8 Neosurrealistische Aspekte

Bei Mendiola finden sich sowohl die anarchisch-poetischen Ansätze des Surrealismus wie auch dessen agitatorisch-politische, die allerdings stets ein wenig die Gefahr der Verflachung zum Agit-Prop in sich tragen.
Nicht ganz zufällig erinnern das Bienenbild und die Bildergruppe mit den Grundnahrungsmitteln Kartoffeln, Reis, Mais, Weizen unter einem Schutzschirm an die politisch korrekten Postkartenbotschaften von Klaus Staeck, den Mendiola sehr schätzt.
Beim zweiten Hinsehen stellt sich mir vor dieser Bildserie aber die Frage: fehlt hier nicht ein ganzer Kontinent? Wo ist die Hirse, die für Afrika stehen könnte? Ist die Armut der einzige Schutz vor dem ökonomischen Zugriff der Agrokonzerne, die den Gen-Pool sämtlicher Grundnahrungsmittel unter ihr Saatgutmonopol zu bringen trachten?

9 Bittere Ernte

Eindeutig politisch ist auch das Stillleben mit gedecktem Tisch und Gläsern. („Erntedank“)
Der Panzer auf dem Teller, der sich in der üppigen Farbenpracht versteckt, wirkt zunächst fast wie ein Stück Torte. Erst beim näheren Hinschauen entpuppt er sich als der bittere Beigeschmack zum Erntedankfestmahl, das uns hier aufgetischt wird.
Eher poetisch ist dagegen ein zweites Gemälde, das ein Gläserstilleben mit einer paradiesartigen Landschaft und einem Hasen kombiniert. („Welchen Wein möchte ich für meine Sauce?“)
Die Schwerkraft scheint hier aufgehoben, die Flüssigkeit steht schräg in den Gläsern und deutet an, dass hier etwas schief läuft. Eine Allegorie der Trunksucht vielleicht, in der der schöne Schein längst anderen Gesetzen folgt als denen der Realität?
Oder geht es um die Frage ob diese Gläser eher halb voll oder eher halb leer sind? Aufs Ganze betrachtet lässt es sich nur statistisch beantworten: sie sind beides, aber eben im Durchschnitt.

10 Zwischen Aufstieg und Fall

Das große Apsisbild mit dem Symbol eines springenden Fisches („Springender Fisch unterm Lichtkreuz“) wirkt auf den ersten Blick wie eine traditionelle christliche Auferstehungs-Ikonographie.
Der Fisch als Symbol Christi erhebt sich aus dem Wasser wie zur Himmelfahrt, dem Licht entgegen, das durch das kreuzförmig geteilte Fenster fällt.
Doch das Bild kippt: Es ist kein lebensfroher Lachs, der in freiem Gewässer den Laichplätzen entgegen springt. Es handelt sich um einen gefluteten Innenraum – wie ein Gefängnis; das Licht fällt von außen herein: Ist der Fisch also gesprungen um sich der drangvollen Enge einer Fischfarm zu entziehen, oder ringt er um Sauerstoff in einer müllverseuchten Kloake, wie es die am unteren Bildrand montierten Plastikabfälle andeuten? Der Befreiungsversuch wird jedenfalls kaum von Erfolg gekrönt sein, der Fisch wird zurückfallen in sein altes Element, dem er vergeblich zu entkommen trachtet. Es ist also eher ein Bild des Schmerzes als des Triumphs. Und die blaue Farbe gibt hier den Klang eines Blues vor.
Aber gönnen wir diesem Fisch einstweilen seinen andauernden Schwebezustand zwischen Aufstieg und Absturz.

11 Getrieben von Hoffnung

Einen letzten Blick möchte ich noch auf das kleine Medi-Made lenken, das wie ein geschnitztes afrikanisches Holzboot aussieht.
Die Scheibe des Atmadisk (ein Respirator für Asthmapatienten) wird zum überdimensionierten Kopf, der mit all seiner Kraft in das Segel einer Hoffnung bläst, welche das kleine Boot über einen unabsehbaren Ozean an den imaginären Ort besseren Lebens treiben soll. Kann das gelingen?

Mendiola trifft damit in einer anrührend poetischen Weise in das Zentrum der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematiken und macht uns bewußt, welch bittere Ernte einer verfehlten Entwicklungs- und Friedenspolitik wir zur Zeit alle miterleben.

Wenn Bilder in dieser Weise betroffen machen –  und man könnte hinzufügen: einen subversiven Stachel setzen –, ist das gewiss nicht das Schlechteste, was man über diese Bilder und ihren Schöpfer sagen kann.


Stephan Michaeli



Stephan Michaeli ist Kunsthistoriker und macht Museumsführungen in der Burg Linn und im Deutschen Textilmuseum, Krefeld