Freitag, 27. Dezember 2024

Zum Nachlesen: Wally Althoff – Reifen lassen und ernten

 




Arbeiten von Wally Althoff unter Verwendung von Bienenwachs. 

oben: Sommertag, unten: Freiheit; jeweils 2024

 


Ein Nachtrag zur Vernissage am 22. September 2024: Auf Wunsch veröffentlichen wir an dieser Stelle die dialogische Einführung von Wally Althoff (kursive Texte) und Marlies Blauth:


Liebe Gäste, ich begrüße Sie zur Vernissage von Wally Althoff – „reifen lassen und ernten“, auch im Namen unserer Kirchengemeinde.

Wir bekommen ja viele Bewerbungen für die Kunst in der Apsis, aber dass eine Bewerberin gleich im WDR zu hören ist, ist selten. Allerdings wurde Frau Althoff nicht als Künstlerin, sondern als Imkerin interviewt – und überhaupt hat sie eine interessante Biografie: Aufgewachsen im Oberbergischen Land auf einem Bauernhof, studierte sie Agrarwissenschaften und ist promovierte Haustier-Genetikerin, arbeitete lange in diesem Bereich als Dozentin.

Tiere, Ackerbau, die Erkenntnis, von Witterungsverhältnissen abhängig zu sein, Arbeit mit der Natur, Verantwortung für die Natur – alles war ihr von Kindheit an klar und vertraut. Und sie erzählt von Prozessionen und einer geschmückten Kapelle zu Erntedank – um der Dankbarkeit Ausdruck zu geben, dass das Sich-Fügen gegenüber den Naturgewalten eben Früchte getragen hat, einmal mehr, einmal weniger.

Es kam aber auch eine Zeit, da musste sie gleichsam nachholen, was in früherer Zeit immer auch wichtig war und sich längere Zeit hinter dem „Agrarischen“ versteckte: Die künstlerische Arbeit, die Kunst. Wally Althoff hatte als Kind immer gezeichnet, Skizzen auf Reisen gemacht, Aquarelle angefertigt. Nun sollte das wiederum in den Vordergrund rücken, indem sie sich künstlerisch aus- und fortbilden ließ.

Zurück zum Imkern, zu den Bienen: Bienenzucht ist seit dem 10. Jh. vor Christus belegt, Honig kommt an verschiedenen Stellen in der Bibel vor, als lange haltbares, energiereiches Nahrungsmittel.

Darüber kann Ihnen Frau Althoff natürlich viel mehr erzählen als ich:

Seit über 30 Jahren bin ich Imkerin, seit über 16 Jahre aktive Malerin. Was liegt näher als der Versuch, diese beiden Leidenschaften zu verbinden.

Seit vielen Jahren beobachte ich den Jahreskreislauf sozusagen mit den Augen der Bienen. Die Honigbienen sind dabei nicht nur exemplarisch für die 560 anderen Bienen- und Wespenarten in Deutschland, sondern für alle Insekten.

Dieser Kreislauf wird nicht bestimmt von unserem gewohnten Kalender, sondern von einem Kalender aus Sonnenscheindauer, Tagesdauer, Blühen von Pflanzen, Regen, Tagestemperaturen und biologischen Vorgängen im Bienenvolk, die deren Entwicklung beeinflussen. Dieser Kreislauf startet, sobald im Frühjahr die Sonne scheint und die Temperaturen leicht steigen.

Wenn die Völker stärker werden und mehr Bienen aufweisen, benötigen sie neben Pollen auch Nektar. Mit Sehnsucht erwarten die Bienen alle Blüten des Frühjahrs und des Sommers.

Sobald die Sommersonnenwende erreicht ist, verkürzen sich die Tage, die Bienenkönigin legt weniger Eier, die Völker werden kleiner und bereiten sich langsam aber sicher auf die ruhigere Zeit vor.

Die Bienen kommen mit den hohen Temperaturen im Sommer gut zurecht, während die (durch den Klimawandel) fehlende Kälte im Winter ihren Rhythmus deutlich stört. Sie passen sich an, auch der Imker passt sich an. So leben wir in einem sich ändernden Kreislauf.

Die Bienen liefern uns verschiedene Produkte: Den Honig benötigt das Volk zum Wachsen und Gedeihen, nur ein kleiner Rest bleibt für den Imker. Sie sammeln Pollen, das ist der Blütenstaub als Eiweiß für die gesunde Ernährung der jungen Bienen; er kann den Menschen bei der Desensibilisierung gegen bestimmte Pflanzenallergien helfen. Sie stellen Propolis aus dem Kittharz von Pflanzen her, das bei Bienen und Mensch Krankheiten bekämpft und auf natürliche Weise desinfiziert. Sie liefern Gift, das tut weh beim Stich, hat aber auch heilende Kräfte in der Medizin. Sie schwitzen Wachs aus, um daraus in akribischer, statisch revolutionärer Art sehr stabile Wohnungen zu bauen. Obendrauf gibt es noch Gelee Royal als lebenslangen Futtersaft für die Königin und für die Arbeiterlarven in den ersten 3 Tagen. Das ist ein gesunder Powerdrink. Red bull ist nichts dagegen.


„Reifen lassen und ernten“ ist nicht etwa nur ein Ausstellungstitel, der auf die Erntedankzeit „gebürstet“ ist, nein, er baut eine Brücke zwischen der Kultur der Natur – also im weitesten Sinne Ackerbau – und der Kunst.

Beiden ist gemeinsam, dass sie besonders anfangs viel Disziplin erfordern. Frau Althoff könnte Ihnen da Genaueres berichten (es würde hier und jetzt aber zu weit führen), mit welchen Maßnahmen man die Böden vorbereiten muss, wie man die Aussaat, die zarten Pflänzchen pflegen muss, um ihren Ertrag zu fördern. Aber irgendwann kommt ein Moment, da kann man nur noch den besten Erntezeitpunkt abwarten.

In der Kunst ist es vergleichbar: Um disziplinierte Übungen kommt man nicht herum. Sachzeichnungen und Naturstudien erfordern ungezählte Arbeitsstunden mit höchster Konzentration, immer wieder neu. Aber auch hier kommt irgendwann ein Zeitpunkt, wo man „inspiriert“ werden darf, zwar auf Erfahrungen bauend, aber doch abwartend, was das Material, die Farbe „so macht“. Und dann lenkt man behutsam die Farbströme, lässt feine Strukturen wie Pflänzchen „sprießen“ und ist erstaunt, was für ein Eigenleben das Bild doch hat.

Das ist es, was uns von der Künstlichen Intelligenz – Gott sei Dank – unterscheidet. Sie wurde, wenn man so will: sehr diszipliniert, mit unendlich viel Inhalt gefüttert, der dank bewundernswert-komplexer Programmierung hin- und her verknüpft wird. „Sie“ hat eben alles schön gelernt, wie die Streber aus der Schulzeit, denen Disziplin über alles ging und die immer schön brav antworteten.

Wollen Sie wissen, was die KI auf meine Frage antwortete, wie man künstlerisch Erntedank feiern könnte? „Malerinnen und Maler könnten Ernte-Szenen oder Stillleben mit frischen Früchten und Gemüse schaffen, um die Schönheit der Natur darzustellen.“ Na ja. Brav eben.

Kunst ist mehr als das Abrufen von Information. Wissen und Erfahrung gehören zwar dazu – daher ist es gruselig, aus einem Kleinkind einen „kleinen Picasso“ machen zu wollen, wie kürzlich durch die Presse ging –, andererseits ist das seelenlose Abbilden der Oberfläche des Sichtbaren ganz bestimmt nicht ausreichend, auch nicht von „frischen Früchten und Gemüse“.

Kunst fragt, anstatt nur abzubilden, nach Erfahrungen und Empfindungen des Betrachters – ruft sie wach, lässt erinnern, verbindet Gedanken zu einem neuen Gedanken.

Wally Althoff hat Bienen und andere Insekten in den Fokus genommen. Immer wieder hören wir, wie wichtig sie im ökologischen Gefüge sind, dass es ohne Bestäubung durch Insekten oft nicht geht, dass dann die Früchte ausbleiben, die wir essen wollen. Aber verinnerlicht haben wir es eher nicht, schlagen vielleicht nach der Biene oder zertreten sie. Das „Untertanmachen“ haben wir leider vielfach falsch verstanden: die Natur hin und wieder zu kultivieren, ist etwas anderes, als sie gänzlich kontrollieren zu wollen. Dass das nicht möglich ist, haben wir erkannt, aber auch wieder nicht so richtig: Aktuell sehen wir die Themen Renaturierung einerseits und diametrial dazu die Gentechnik.

Und nun erzählt Ihnen Frau Althoff, warum sie sich mit Bildern von Obst und Gemüse nicht zufriedengibt – auch wenn die „Früchte des Tuns“ sowohl in Landwirtschaft als auch Kunst von außerordentlicher Wichtigkeit sind.

Mein Thema in der Malerei derzeit und hier in der Apsis sind die Bienen selber und das Arbeiten mit Bienenwachs.

Beobachtungen an den Völkern lassen mich unterschiedlich realitätsnahe oder abstrakte Gemälde anfertigen. Das Leichte, das Luftige und die Transparenz der Insektenwelt möchte ich umsetzen. Dazu gehört die Biodiversität, die Formen- und Farbenvielfalt.

Daneben verwende ich Bienenwachs. Dieses wird schon lange in der Kunst eingesetzt für die Herstellung von Farben oder für einen Firnis, um wasserfeste, manchmal glänzende Schlussabdeckungen von Gemälden zu erreichen.
Ich wollte gerne aus dem Wachs meiner Bienen eine Farbe herstellen, die sowohl meinen künstlerischen Ansprüchen genügt als auch meinen Respekt vor diesen Tieren ausdrückt. Deshalb stelle ich ein Medium aus Dammarharz, Balsamterpentin-Öl und Wachs her, das ich mit Ölfarben mischen und weiterverarbeiten kann. Das ist nicht so leicht, wie ich es mir dachte. Ich habe mir eine kleine Kochküche als Labor eingerichtet und mindestens zehn überlieferte Rezepte ausprobiert. Mittlerweile habe ich es geschafft, eine Mischung herzustellen, die meinen Ansprüchen weitgehend genügt. Mit Ölfarben und Pigmenten entsteht eine homogene Masse, die ich mit der Rolle, dem Spachtel oder verdünnt mit dem Pinsel auf feste Untergründe auftragen kann. Das Medium verkürzt im Unterschied zur reinen Ölfarbe die Trocknungszeit deutlich, so dass ich schon nach 3 bis 4 Stunden weiterarbeiten kann. So entsteht Schicht auf Schicht, die durch Abkratzen, Abspachteln oder mit Stiften verändert werden kann und dabei räumliche Dimensionen entwickelt. Das nennt sich Kaltwachstechnik

In dieser Ausstellung sind die geschichteten, gespachtelten und gerollten Bilder in Kaltwachs neben den (mit Gouachen) lasierend gearbeiteten Werken zu sehen. Gouachen sind mit Gummiarabicum gebundene Pigmente, die sowohl deckend als auch transparent verwendet werden können, beide Techniken haben ihren Reiz.

 

 Energie, 2024

 


 
Summen, 2024