In einem weißen Feld.
Die Künstlerin
Ina Jenzelewski wurde in Hamm geboren,
hat in Dortmund studiert, ist heute Mitglied in verschiedenen
Künstlervereinigungen und stellt regelmäßig im In- und Ausland ihre Werke aus.
Es wächst,
rankt, windet sich, fächert sich auf, erblüht, scheint zu welken in den Werken von
Ina Jenzelewski. Ein ganz besonderer „Garten“
entfaltet sich vor den Augen der Betrachter: gefüllt mit fragilen, zarten
Gebilden, organisch, floral anmutend, in rhythmischer Bewegung sich befindend
oder voll innerer Ruhe.
Die Farbigkeit ist
voller leiser, sensibler Klänge, aber auch voller Energien.
Erstaunlich,
dass diese wunderbaren „Gewächse“ aus Abfallprodukten, Fundstücken, Materialien
des täglichen Gebrauchs entstehen.
Die Künstlerin
selbst formuliert es so: „Zumeist sind es aus pflanzlichen Rohstoffen
hergestellte Produkte, die nach einmaligem Gebrauch im Abfall enden. Die
Technik habe ich mir selbst erarbeitet und im Laufe der Jahre perfektioniert.
Es entstehen aus Zellstofftüchern, benutztem Filterpapier, abgerollten
Papphülsen und/oder Verpackungsmaterial … durchscheinende Materialbilder.“
Bei genauerer
Betrachtung erkennen wir, dass diese oft hauchzarten Materialien geschichtet, gefaltet und verdreht werden.
Es entsteht
eine ganz besondere, fragile Ästhetik, eine Mischung aus Strenge und einem
freien Spiel.
Hier in
Meerbusch zeigt die Künstlerin einen Ausschnitt aus ihren Werken, sie gewährt
uns den Eintritt in ihren kunstvoll angelegten „Garten“:
Ina Jenzelewski
wählt den Titel In einem weißen Feld,
inspiriert durch ein Erntedanklied, aber auch Bezug nehmend auf
ein durchgehendes Gestaltungsprinzip: Auf einem weißen Feld, einem weißen, in
der Ausstellung durchgehend quadratischen Bildgrund, wachsen und gedeihen ihre
Bildmotive.
Große,
quadratische Formate begegnen uns in der Apsis. Zwei sich ähnelnde Motive auf
weißem Grund, Fächerformen, die eine in ihrer Form aufgebrochen, gerät auf
diese Weise in Bewegung.
Feine Strukturen
durchziehen beide Gebilde wie Blattadern. Hauchzartes Papier wurde in
verschiedenen Schichten gefaltet und geschichtet.
Diese
Fächerformen – sind sie die XXL-Vergrößerung eines Blattes?
In der Tat
erinnern uns diese fragilen Gebilde an Blätter des Ginkgo-Baumes. Ginkgo
biloba, so lautet die botanische Bezeichnung des chinesischen Tempel- und Glücksbaumes, der aufgrund der
ausgefallenen Blattform auch den poetischen Namen „Fächerbaum“ trägt.
Der Ginkgo-Baum,
einer der ältesten und langlebigsten Bäume der Menschheitsgeschichte, ist in
verschiedenen Kulturen zum Symbol des Friedens, der Freundschaft und des Lebens
selbst geworden. Diesem Baum wird nachgesagt, dass er die verheerende
Katastrophe von Hiroshima überlebte. Ein Exemplar, das nicht weit vom
Epizentrum der Detonation stark beschädigt wurde, ausgehöhlt, die Rinde
verbrannt, schlug wieder grün aus und überlebte. Das klingt beeindruckend und
erschütternd zugleich.
Noch heute soll
dieser Baum in Hiroshima stehen und wachsen. Der Ginkgo-Baum ist mehr denn je
in der modernen Welt Hoffnungsträger für eine Welt ohne Kriege und Gewalt
geworden. Heute prägt das Ginkgoblatt als Logo der Stadtverwaltung das Stadtbild
von Tokio nachhaltig.
Zwei an Ginkgoblätter
erinnernde Bilder, hier in Meerbusch von der Künstlerin im Altarraum platziert: Zarte Gebilde, an
Blätter eines Baumes erinnernd, der eine
solche Symbolkraft besitzt, der für Frieden, Liebe, Freundschaft und das Leben
Sinnbild geworden ist. Welch ein passender Ort für eine Präsentation dieser
Werke!
Die Künstlerin
selbst hat für die beiden Exponate jeweils den Titel „Mondbaum“ gewählt. Das
klingt geheimnisvoll, fast märchenhaft.
Vielleicht erinnert
es auch den ein oder anderen von Ihnen an die Apollo14-Mission im Jahr 1971. Es
wurden Pflanzensamen mitgenommen, um zu testen, ob die Schwerelosigkeit eine
Auswirkung auf deren Wachstum habe. Nachdem die Samen den Mond 34-mal umkreist
hatten, wurden sie auf der Erde von den Forschern zum Keimen gebracht und an
verschiedenen Orten in der ganzen Welt angepflanzt. Diese Bäume sind noch heute
unter dem Namen „Mondbaum“ bekannt.
Hat diese
reizvolle Geschichte die Künstlerin inspiriert?
Hat die
Künstlerin, einer Gärtnerin gleich, den Samen in ihren Bildern aufgehen lassen?
Die Fächerform
durchzieht immer wieder das Werk der Künstlerin. Auch in dieser Ausstellung
nimmt Ina Jenzelewski das Motiv im Saal noch einmal auf. Die zarten
Papierobjekte in den Materialrahmen wirken wie kleine botanischen
Schatzkästchen. Hier sprießt es allerdings deutlich farbiger: Die Fächerformen sind
in die Farben des Werdens und Vergehens getaucht, von lebendigem Grün über herbstliche
Farbvariationen bis hin zum Verschwinden der Farbe im Grau und Schwarz.
Mit Farben und
Formen spielt hier die Künstlerin. Sie variiert eine Grundform. Variation, die
Wiederholung mit Abweichungen, ist ein innewohnendes Gesetz der Natur.
Variation umgibt uns überall.
Das Prinzip der
Variation ist auch etwas, das den Künstler überhaupt beschäftigt. Vielfalt in
der Einheit: Es ist das Experimentieren mit den Entfaltungsmöglichkeiten, die
ein Motiv zulässt, ohne an Spannung zu verlieren.
Die Ähnlichkeit
mit einem Ginkgoblatt ist bei den Arbeiten „Blattfächer“ übrigens noch
augenscheinlicher.
Die
ungewöhnliche Blattform des Ginkgobaumes hatte schon den Dichter Goethe zu einem
eindrucksvollen Liebesgedicht angeregt, das er im West-östlichen Divan
veröffentlichte. Das Ginkgo-Blatt gleicht einem Fächer, doch hat dieser oft
mittig einen Einschnitt, sodass eine Form entsteht, die zwei zusammengeschmolzenen
Herzen gleicht und für Goethe zum Sinnbild der Liebe und Freundschaft wurde.
Schauen Sie
genau hin! Entdecken Sie den charakteristischen Einschnitt?
Neben der
Fächerform, die manchmal schon einem Halbkreis ähnelt, greift Ina Jenzelewski auch immer wieder die
vollständige kreisrunde Form auf.
Im Kirchenraum
heißen die unfarbigen, stillen Bilder „Ordnung“, „Drehung“, „Blende“ und „Eindrehung“.
Damit gibt sie den Exponaten Titel, die sich deutlich auf die Gestaltung
beziehen.
Auch hier
greift die Künstlerin wieder die Variation eines Themas auf. Alle Bilder haben
dasselbe Format, alle die gleiche runde Grundform. Alle bestehen aus sorgfältig
geschnittenen Rundungen einer Papprolle, die mit Papier überzogen sind. Sie
zeichnen sich ab wie feine Linien.
Im Bild mit dem
Titel „Ordnung“ wirkt die aus Naturmaterialien bestehende Struktur gleichmäßig
und unbewegt: geordnet.
Im nächsten
Bild gerät die Struktur in Bewegung, fängt an, sich sozusagen zu drehen: Ein
lochartiger Raum entsteht. Im Bild „Blende“ schließt sich der entstandene Raum
wieder wie bei einer kleiner werdenden „Blende“ einer Kameraeinstellung. Im
vierten Bild, der „Eindrehung“ geht die Richtung der Bewegung wieder nach innen.
Somit schließt sich das Gebilde.
Die Künstlerin
zeigt uns hier – wie auf einem Filmstreifen – die einzelnen Sequenzen eines
Bewegungsablaufs.
Die runde Form
wird auch in den Werken „schwindendes Grün“ und „leuchtendes Rot“ aufgenommen.
Wie farbige Mandalas wirken sie auf dem weißen Feld. Auch diese könnten als
Sinnbilder des Wachsens, Gedeihens und Vergehens gelesen werden. Das Grün, die
Farbe des Wachstums, schwindet. Wird es dem Grau und Schwarz, dem Unbelebten
weichen müssen?
Erinnert die
runde Form mit ihrem ausgesparten Mittelpunkt nicht auch an ein Rad, das als
Sinnbild der Veränderung, des ewigen Wandels, der voranschreitenden Zeit und
des Schicksals begriffen wird?
Im „Garten“ der
Künstlerin herrscht nicht immer Sonnenschein. Auch Nebelschwaden durchziehen
ihre Bilderwelt. Hauchzart fügt die Künstlerin
transparentes Papier zusammen und betont in den kleinen rechteckigen
Formaten die Waagerechte in ihrer Gestaltung. Senkrecht aufsteigend wirken
dagegen die Samenkapseln.
Hier im Bild sind
die Samenkapseln noch verschlossen und strahlen in ihrer gleichmäßigen
rhythmischen Anordnung Ruhe aus, aber Samen
sind die
Kraftzentren der Natur. In ihnen sammelt sich eine geballte Energie, die
irgendwann aufbricht, um das Leben sozusagen herauszulassen.
Das Bild des
„Samens“ mit seiner Symbolkraft wird im kirchlichen Kontext immer wieder
aufgegriffen. Also auch hier ist das Werk „Samenkapseln“ von der Künstlerin,
ähnlich wie das Motiv des Ginkgoblattes, sinnvoll und überzeugend für eine Ausstellung
in der Kirche gewählt.
Und hier schließt
sich der Kreis:
Unser gemeinsamer
kleiner Rundgang durch den „Bildergarten“ der Künstlerin Ina Jenzelewski findet
sein Ende. Wir haben uns aufgehalten in einem Raum des Wachsens, Gedeihens und
Vergehens, der lauten und leisen Farbklänge, der Ruhe und Bewegung. Mondbäume
und Nebelschwaden haben unseren Gang verzaubert.
Nun dürfen Sie sich noch einmal ohne meine Begleitung Ihren Weg suchen und ich hoffe, dass das Vorgetragene noch etwas in ihnen nachklingt.
Nun dürfen Sie sich noch einmal ohne meine Begleitung Ihren Weg suchen und ich hoffe, dass das Vorgetragene noch etwas in ihnen nachklingt.
Fotos: Marlies Blauth
Blick in die Ausstellung, Abendbeleuchtung der Apsis