Samstag, 30. September 2017

Einführungsrede von Inge Heinicke-Baldauf (zu Ina Jenzelewski)












In einem weißen Feld.

Die Künstlerin Ina Jenzelewski wurde in  Hamm geboren, hat in Dortmund studiert, ist heute Mitglied in verschiedenen Künstlervereinigungen und stellt regelmäßig im In- und Ausland ihre Werke aus. 

Es wächst, rankt, windet sich, fächert sich auf, erblüht, scheint zu welken in den Werken von Ina Jenzelewski.  Ein ganz besonderer „Garten“ entfaltet sich vor den Augen der Betrachter: gefüllt mit fragilen, zarten Gebilden, organisch, floral anmutend, in rhythmischer Bewegung sich befindend oder voll innerer Ruhe.
  
Die Farbigkeit ist voller leiser, sensibler Klänge, aber auch voller Energien.
Erstaunlich, dass diese wunderbaren „Gewächse“ aus Abfallprodukten, Fundstücken, Materialien des täglichen Gebrauchs entstehen.
Die Künstlerin selbst formuliert es so: „Zumeist sind es aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellte Produkte, die nach einmaligem Gebrauch im Abfall enden. Die Technik habe ich mir selbst erarbeitet und im Laufe der Jahre perfektioniert. Es entstehen aus Zellstofftüchern, benutztem Filterpapier, abgerollten Papphülsen und/oder Verpackungsmaterial … durchscheinende Materialbilder.“
Bei genauerer Betrachtung erkennen wir, dass diese oft hauchzarten Materialien   geschichtet, gefaltet und verdreht werden.
Es entsteht eine ganz besondere, fragile Ästhetik, eine Mischung aus Strenge und einem freien Spiel.

Hier in Meerbusch zeigt die Künstlerin einen Ausschnitt aus ihren Werken, sie gewährt uns den Eintritt in ihren kunstvoll angelegten „Garten“:
Ina Jenzelewski wählt den Titel In einem weißen Feld, inspiriert durch ein Erntedanklied, aber auch Bezug nehmend auf ein durchgehendes Gestaltungsprinzip: Auf einem weißen Feld, einem weißen, in der Ausstellung durchgehend quadratischen Bildgrund, wachsen und gedeihen ihre Bildmotive.

Große, quadratische Formate begegnen uns in der Apsis. Zwei sich ähnelnde Motive auf weißem Grund, Fächerformen, die eine in ihrer Form aufgebrochen, gerät auf diese Weise in Bewegung.
Feine Strukturen durchziehen beide Gebilde wie Blattadern. Hauchzartes Papier wurde in verschiedenen Schichten gefaltet und geschichtet.
Diese Fächerformen – sind sie die XXL-Vergrößerung eines Blattes?

In der Tat erinnern uns diese fragilen Gebilde an Blätter des Ginkgo-Baumes. Ginkgo biloba, so lautet die botanische Bezeichnung des chinesischen Tempel-  und Glücksbaumes, der aufgrund der ausgefallenen Blattform auch den poetischen Namen „Fächerbaum“ trägt.  
Der Ginkgo-Baum, einer der ältesten und langlebigsten Bäume der Menschheitsgeschichte, ist in verschiedenen Kulturen zum Symbol des Friedens, der Freundschaft und des Lebens selbst geworden. Diesem Baum wird nachgesagt, dass er die verheerende Katastrophe von Hiroshima überlebte. Ein Exemplar, das nicht weit vom Epizentrum der Detonation stark beschädigt wurde, ausgehöhlt, die Rinde verbrannt, schlug wieder grün aus und überlebte. Das klingt beeindruckend und erschütternd zugleich.
Noch heute soll dieser Baum in Hiroshima stehen und wachsen. Der Ginkgo-Baum ist mehr denn je in der modernen Welt Hoffnungsträger für eine Welt ohne Kriege und Gewalt geworden. Heute prägt das Ginkgoblatt als Logo der Stadtverwaltung das Stadtbild von Tokio nachhaltig.

Zwei an Ginkgoblätter erinnernde Bilder, hier in Meerbusch von der Künstlerin  im Altarraum platziert: Zarte Gebilde, an Blätter eines Baumes erinnernd, der  eine solche Symbolkraft besitzt, der für Frieden, Liebe, Freundschaft und das Leben Sinnbild geworden ist. Welch ein passender Ort für eine Präsentation dieser Werke!

Die Künstlerin selbst hat für die beiden Exponate jeweils den Titel „Mondbaum“ gewählt. Das klingt geheimnisvoll, fast märchenhaft.
Vielleicht erinnert es auch den ein oder anderen von Ihnen an die Apollo14-Mission im Jahr 1971. Es wurden Pflanzensamen mitgenommen, um zu testen, ob die Schwerelosigkeit eine Auswirkung auf deren Wachstum habe. Nachdem die Samen den Mond 34-mal umkreist hatten, wurden sie auf der Erde von den Forschern zum Keimen gebracht und an verschiedenen Orten in der ganzen Welt angepflanzt. Diese Bäume sind noch heute unter dem Namen „Mondbaum“ bekannt.
Hat diese reizvolle Geschichte die Künstlerin inspiriert?
Hat die Künstlerin, einer Gärtnerin gleich, den Samen in ihren Bildern aufgehen lassen?

Die Fächerform durchzieht immer wieder das Werk der Künstlerin. Auch in dieser Ausstellung nimmt Ina Jenzelewski das Motiv im Saal noch einmal auf. Die zarten Papierobjekte in den Materialrahmen wirken wie kleine botanischen Schatzkästchen. Hier sprießt es allerdings deutlich farbiger: Die Fächerformen sind in die Farben des Werdens und Vergehens getaucht, von lebendigem Grün über herbstliche Farbvariationen bis hin zum Verschwinden der Farbe im Grau und Schwarz.   
Mit Farben und Formen spielt hier die Künstlerin. Sie variiert eine Grundform. Variation, die Wiederholung mit Abweichungen, ist ein innewohnendes Gesetz der Natur. Variation umgibt uns überall.
Das Prinzip der Variation ist auch etwas, das den Künstler überhaupt beschäftigt. Vielfalt in der Einheit: Es ist das Experimentieren mit den Entfaltungsmöglichkeiten, die ein Motiv zulässt, ohne an Spannung zu verlieren.

Die Ähnlichkeit mit einem Ginkgoblatt ist bei den Arbeiten „Blattfächer“ übrigens noch augenscheinlicher.
Die ungewöhnliche Blattform des Ginkgobaumes hatte schon den Dichter Goethe zu einem eindrucksvollen Liebesgedicht angeregt, das er im West-östlichen Divan veröffentlichte. Das Ginkgo-Blatt gleicht einem Fächer, doch hat dieser oft mittig einen Einschnitt, sodass eine Form entsteht, die zwei zusammengeschmolzenen Herzen gleicht und für Goethe zum Sinnbild der Liebe und Freundschaft wurde.
Schauen Sie genau hin! Entdecken Sie den charakteristischen Einschnitt?      

Neben der Fächerform, die manchmal schon einem Halbkreis ähnelt, greift Ina  Jenzelewski auch immer wieder die vollständige kreisrunde Form auf.
Im Kirchenraum heißen die unfarbigen, stillen Bilder „Ordnung“, „Drehung“, „Blende“ und „Eindrehung“. Damit gibt sie den Exponaten Titel, die sich deutlich auf die Gestaltung beziehen.
Auch hier greift die Künstlerin wieder die Variation eines Themas auf. Alle Bilder haben dasselbe Format, alle die gleiche runde Grundform. Alle bestehen aus sorgfältig geschnittenen Rundungen einer Papprolle, die mit Papier überzogen sind. Sie zeichnen sich ab wie feine Linien.
Im Bild mit dem Titel „Ordnung“ wirkt die aus Naturmaterialien bestehende Struktur gleichmäßig und unbewegt: geordnet.
Im nächsten Bild gerät die Struktur in Bewegung, fängt an, sich sozusagen zu drehen: Ein lochartiger Raum entsteht. Im Bild „Blende“ schließt sich der entstandene Raum wieder wie bei einer kleiner werdenden „Blende“ einer Kameraeinstellung. Im vierten Bild, der „Eindrehung“ geht die Richtung der Bewegung wieder nach innen. Somit schließt sich das Gebilde.
Die Künstlerin zeigt uns hier – wie auf einem Filmstreifen – die einzelnen Sequenzen eines Bewegungsablaufs.

Die runde Form wird auch in den Werken „schwindendes Grün“ und „leuchtendes Rot“ aufgenommen. Wie farbige Mandalas wirken sie auf dem weißen Feld. Auch diese könnten als Sinnbilder des Wachsens, Gedeihens und Vergehens gelesen werden. Das Grün, die Farbe des Wachstums, schwindet. Wird es dem Grau und Schwarz, dem Unbelebten weichen müssen?
Erinnert die runde Form mit ihrem ausgesparten Mittelpunkt nicht auch an ein Rad, das als Sinnbild der Veränderung, des ewigen Wandels, der voranschreitenden Zeit und des Schicksals begriffen wird?

Im „Garten“ der Künstlerin herrscht nicht immer Sonnenschein. Auch Nebelschwaden durchziehen ihre Bilderwelt. Hauchzart fügt die Künstlerin  transparentes Papier zusammen und betont in den kleinen rechteckigen Formaten die Waagerechte in ihrer Gestaltung. Senkrecht aufsteigend wirken dagegen die Samenkapseln.
Hier im Bild sind die Samenkapseln noch verschlossen und strahlen in ihrer gleichmäßigen rhythmischen Anordnung Ruhe aus, aber Samen
sind die Kraftzentren der Natur. In ihnen sammelt sich eine geballte Energie, die irgendwann aufbricht, um das Leben sozusagen herauszulassen.
Das Bild des „Samens“ mit seiner Symbolkraft wird im kirchlichen Kontext immer wieder aufgegriffen. Also auch hier ist das Werk „Samenkapseln“ von der Künstlerin, ähnlich wie das Motiv des Ginkgoblattes, sinnvoll und überzeugend für eine Ausstellung in der Kirche gewählt.
  
Und hier schließt sich der Kreis:

Unser gemeinsamer kleiner Rundgang durch den „Bildergarten“ der Künstlerin Ina Jenzelewski findet sein Ende. Wir haben uns aufgehalten in einem Raum des Wachsens, Gedeihens und Vergehens, der lauten und leisen Farbklänge, der Ruhe und Bewegung. Mondbäume und Nebelschwaden haben unseren Gang verzaubert. 

Nun dürfen Sie sich noch einmal ohne meine Begleitung Ihren Weg suchen und ich hoffe, dass das Vorgetragene noch etwas in ihnen nachklingt.







  




 Blick in die Ausstellung, Abendbeleuchtung der Apsis