Dienstag, 5. April 2016

"Alles will sie mit Farben beleben" – Einführungstext von Dr. Jutta Höfel









Apsis im Zustand der Karwoche (Papierarbeiten: Johanna Sandau)





Apsis mit Arbeiten von Johanna Sandau, nach Entfernen der "Hungertücher"







Zur Ausstellung „Alles will sie mit Farben beleben“ von Johanna Sandau
in der Evangelischen Kirche in Osterath vom 20. März bis 1. Mai 2016



Mit dem Titel ihrer Ausstellung verweist Johanna Sandau auf Goethes Faust, der bei seinem Osterspaziergang das wieder erwachende Leben in der Natur spürt, nachdem er in tiefster Nacht der Verzweiflung durch den frohen Chor der Auferstehungskunde davon abgehalten wird, sich selbst den Tod zu geben.

Am Palmsonntag sehen wir die Karwoche vor uns liegen, in der auch wir den Gedanken an Sterben und Überwinden nachgehen, wobei wir in dieser Kirche von der Ausstellung Johanna Sandaus begleitet werden.

Die Künstlerin zeigt eine Auswahl aus verschiedenen Serien und eigens für diesen Anlass geschaffene Arbeiten zum Thema Farbe, in deren anregenden Kräften die Atmosphäre des Frühlings und des Osterfests und die Bedeutung des religiösen und jahreszeitlichen Aufbruchs mitschwingen.

In dem Werk in der Apsis ist das Dunkle und Kalte noch vorherrschend: ein violett zerlaufendes Kreuz auf grau gewölktem Grund, eine helle, weiß gerahmte Gestalt und ein bläuliches, ins Schwärzliche sinkendes Tuch sind Johanna Sandaus Blicke auf Leiden, Auferstehung und Tod.

Verborgen in diesen Ansichten, die unter dem welligen Zittern eines Wassers liegen, das die Künstlerin mit dem Schleier feiner Papiere suggeriert, werden die eigentlichen Bilder erst zum Vorschein treten, wenn die Passion beendet ist.

Die Künstlerin greift außer der Kreuzesverhüllung weitere Traditionen auf, etwa die Dreiteilung, die an ein Triptychon erinnert, sich aber mit den hohen schmalen Paneelen von den Vorgaben löst und daher in den ungewöhnlichen Altarraum passt, dessen Licht jegliche Düsternis aufhebt und sich in Farben zerstreut, die aus den anderen Werken Johanna Sandaus leuchten.

Darin weckt die Struktur von Kreuzungen und Vierecken den Eindruck geöffneter Fenster und sich hebender oder beiseite geschobener Vorhänge, die etwas freigeben, das im Äußeren einer meerigen oder feurigen Landschaft liegen mag oder in den kühlen und warmen Empfindungen unseres Bewusstseins.

Im Gemeindesaal setzt sich die Ausstellung fort auf sieben Leinwänden, die das ganze Spektrum umfassen und für die Tage der Karwoche stehen können. Die Verläufe zwischen rot, orange, gelb, grün, blau, violett und rosiggolden sind in grauen Umrahmungen so angeordnet, dass sie unser Auge und unser Gemüt wie durch einen Sog in die jeweilige Mitte hineinziehen und dann weiterwandern lassen.

Dabei können wir auch das Geschehen in Jerusalem bedenken vom Willkommen und Abendmahl über die Anklage und Verurteilung bis in den schrecklichsten Abgrund der Verlassenheit und darüber hinaus in die Enthebung.

Die Gemälde entstehen allmählich im Auftrag vieler Lagen der Acrylfarbe, während die Künstlerin die Trocknungsprozesse der Oberflächen beobachtet und sie immer wieder bestreicht und betupft, je nach Motiv mit 30 bis 40 dünnen Schichten.

Johanna Sandau nennt neben der Literatur die Musik als eine wichtige Inspirationsquelle, um Stimmungen bildnerisch zu gestalten. So stehen die nächsten Stücke in Korrespondenz zu Josephs Haydns Komposition „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers ...“.

Die Gliederungen der Farbradierungen, mehrfach gestaffelte Außen- und Binnenrahmen, Gehäuse aus Rechtecken und Quadraten, sind mit dem Stift überzeichnet und mit Aquarell übermalt, die Strenge der Formen ist überwunden in eine Tiefe hinein, aus der Kreuze aufschimmern, wie sie, schmerzhaft oder tröstlich, greifbar oder unfasslich unser Dasein durchziehen.

Vielleicht hören wir die Klänge der Passionen darin, vielleicht vermitteln sie uns die Einladung, das Evangelium aus den Überlieferungen zusammenzulesen, vielleicht können wir mit ihnen meditative Momente in der Betrachtung verbringen.

Von den 52 Wochen-Tafeln wollte die Künstlerin für die Zeit bis Pfingsten neun hängen, hat sich aber auf die Wirkung von drei beschränkt, nicht nur aus christlicher Sicht auf den Ursprung aller weiteren Entfaltungen. Nach den in mehrfacher Hinsicht bedeutsamen Zahlen drei und sieben ist das gesamte Konzept der Ausstellung aufgebaut. 

Ein Anstoß für den Jahres-Zyklus war der Seelenkalender Rudolf Steiners, der mit der „Osterstimmung“ beginnt. Nach der Bedrängnis des Winters erneuern das steigende Licht und die damit wachsende Lebensfreude unser Bewusstsein für unsere Existenz im geistig durchwalteten Kosmos.  

Die Hochformate sind auf eiserne Tafeln gesetzt, so dass die rostige Qualität im Kontrast zu den gelben, blauen und grünen Tönen steht, deren Frische sie steigert und deren Gegenwärtigkeit sie durch ihren Zerfall betont.
Die abgerundeten geometrischen Formen auf der Bildfläche werden durch die eingefeuchteten Seidenpapiere unterstützt, deren flache Faltungen die Künstlerin aufgebracht oder zum Teil wieder abgenommen hat, um dem körnig erodierenden Metall ein Relief gegenüberzustellen, das uns in die abstrakten Fernen von Seen und Wiesen, von Wäldern und Feldern unter dem Himmel entlässt.

Und damit schließt sich der Kreis zum Osterspaziergang, den auch wir bald genießen werden.




(von der Autorin selbst gekürzte Version), ©2016 Dr. Jutta Höfel