Apsis im Zustand der Karwoche (Papierarbeiten: Johanna Sandau)
Apsis mit Arbeiten von Johanna Sandau, nach Entfernen der "Hungertücher"
Zur Ausstellung „Alles will sie mit Farben
beleben“ von Johanna Sandau
in der Evangelischen Kirche in Osterath vom
20. März bis 1. Mai 2016
Mit dem Titel ihrer Ausstellung verweist
Johanna Sandau auf Goethes Faust, der bei seinem Osterspaziergang das wieder
erwachende Leben in der Natur spürt, nachdem er in tiefster Nacht der
Verzweiflung durch den frohen Chor der Auferstehungskunde davon abgehalten
wird, sich selbst den Tod zu geben.
Am Palmsonntag sehen wir die Karwoche vor uns
liegen, in der auch wir den Gedanken an Sterben und Überwinden nachgehen, wobei
wir in dieser Kirche von der Ausstellung Johanna Sandaus begleitet werden.
Die Künstlerin zeigt eine Auswahl aus
verschiedenen Serien und eigens für diesen Anlass geschaffene Arbeiten zum
Thema Farbe, in deren anregenden Kräften die Atmosphäre des Frühlings und des
Osterfests und die Bedeutung des religiösen und jahreszeitlichen Aufbruchs
mitschwingen.
In dem Werk in der Apsis ist das Dunkle und
Kalte noch vorherrschend: ein violett zerlaufendes Kreuz auf grau gewölktem
Grund, eine helle, weiß gerahmte Gestalt und ein bläuliches, ins Schwärzliche
sinkendes Tuch sind Johanna Sandaus Blicke auf Leiden, Auferstehung und Tod.
Verborgen in diesen Ansichten, die unter dem
welligen Zittern eines Wassers liegen, das die Künstlerin mit dem Schleier
feiner Papiere suggeriert, werden die eigentlichen Bilder erst zum Vorschein
treten, wenn die Passion beendet ist.
Die Künstlerin greift außer der
Kreuzesverhüllung weitere Traditionen auf, etwa die Dreiteilung, die an ein
Triptychon erinnert, sich aber mit den hohen schmalen Paneelen von den Vorgaben
löst und daher in den ungewöhnlichen Altarraum passt, dessen Licht jegliche
Düsternis aufhebt und sich in Farben zerstreut, die aus den anderen Werken
Johanna Sandaus leuchten.
Darin weckt die Struktur von Kreuzungen und
Vierecken den Eindruck geöffneter Fenster und sich hebender oder beiseite
geschobener Vorhänge, die etwas freigeben, das im Äußeren einer meerigen oder
feurigen Landschaft liegen mag oder in den kühlen und warmen Empfindungen
unseres Bewusstseins.
Im Gemeindesaal setzt sich die Ausstellung
fort auf sieben Leinwänden, die das ganze Spektrum umfassen und für die Tage
der Karwoche stehen können. Die Verläufe zwischen rot, orange, gelb, grün,
blau, violett und rosiggolden sind in grauen Umrahmungen so angeordnet, dass
sie unser Auge und unser Gemüt wie durch einen Sog in die jeweilige Mitte
hineinziehen und dann weiterwandern lassen.
Dabei können wir auch das Geschehen in
Jerusalem bedenken vom Willkommen und Abendmahl über die Anklage und
Verurteilung bis in den schrecklichsten Abgrund der Verlassenheit und darüber
hinaus in die Enthebung.
Die Gemälde entstehen allmählich im Auftrag
vieler Lagen der Acrylfarbe, während die Künstlerin die Trocknungsprozesse der
Oberflächen beobachtet und sie immer wieder bestreicht und betupft, je nach
Motiv mit 30 bis 40 dünnen Schichten.
Johanna Sandau nennt neben der Literatur die
Musik als eine wichtige Inspirationsquelle, um Stimmungen bildnerisch zu gestalten. So
stehen die nächsten Stücke in Korrespondenz zu Josephs Haydns Komposition „Die
sieben letzten Worte unseres Erlösers ...“.
Die Gliederungen der Farbradierungen, mehrfach
gestaffelte Außen- und Binnenrahmen, Gehäuse aus Rechtecken und Quadraten, sind
mit dem Stift überzeichnet und mit Aquarell übermalt, die Strenge der Formen
ist überwunden in eine Tiefe hinein, aus der Kreuze aufschimmern, wie sie,
schmerzhaft oder tröstlich, greifbar oder unfasslich unser Dasein durchziehen.
Vielleicht hören wir die Klänge der Passionen
darin, vielleicht vermitteln sie uns die Einladung, das Evangelium aus den
Überlieferungen zusammenzulesen, vielleicht können wir mit ihnen meditative
Momente in der Betrachtung verbringen.
Von den 52 Wochen-Tafeln wollte die Künstlerin
für die Zeit bis Pfingsten neun hängen, hat sich aber auf die Wirkung von drei
beschränkt, nicht nur aus christlicher Sicht auf den Ursprung aller weiteren
Entfaltungen. Nach den in mehrfacher Hinsicht bedeutsamen Zahlen drei und
sieben ist das gesamte Konzept der Ausstellung aufgebaut.
Ein Anstoß für den Jahres-Zyklus war der
Seelenkalender Rudolf Steiners, der mit der „Osterstimmung“ beginnt. Nach der
Bedrängnis des Winters erneuern das steigende Licht und die damit wachsende
Lebensfreude unser Bewusstsein für unsere Existenz im geistig durchwalteten
Kosmos.
Die Hochformate sind auf eiserne Tafeln
gesetzt, so dass die rostige Qualität im Kontrast zu den gelben, blauen und
grünen Tönen steht, deren Frische sie steigert und deren Gegenwärtigkeit sie
durch ihren Zerfall betont.
Die abgerundeten geometrischen Formen auf der
Bildfläche werden durch die eingefeuchteten Seidenpapiere unterstützt, deren
flache Faltungen die Künstlerin aufgebracht oder zum Teil wieder abgenommen
hat, um dem körnig erodierenden Metall ein Relief gegenüberzustellen, das uns in die abstrakten Fernen von Seen und
Wiesen, von Wäldern und Feldern unter dem Himmel entlässt.
Und damit schließt sich der Kreis zum
Osterspaziergang, den auch wir bald genießen werden.
(von der Autorin selbst gekürzte Version), ©2016 Dr. Jutta
Höfel