Montag, 14. Oktober 2024

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Freitag, 16. August 2024

Mittwoch, 19. Juni 2024

Florica Marian | Laubblatt-Variationen – Vortrag von Marlies Blauth

 




Blick in den Kirchraum


Zur Vernissage am 16. Juni 2024

 

Liebe Gäste, ich freue mich über Ihr Kommen und Ihr Interesse. Heute zeigen wir erstmalig Arbeiten einer Künstlerin aus der Schweiz, von Florica Marian aus Genf, die wir herzlich begrüßen!

 

Laubblatt-Variationen:

Da denkt man doch sofort an die Farbe Grün.

Es ist noch nicht lange her: Im Mai – oder mittlerweile schon im April – „grünt es“ in der Natur. Wir kennen die Sehnsucht danach, wenn es im Winter weitgehend farblos zugeht. Sogar in einem Weihnachtslied heißt es O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter.

Ansonsten sind es vor allem die Mailieder, die sich mit Blätterwerk und Grün befassen:

Der Mai ist gekommen
die Bäume schlagen aus

Komm, lieber Mai, und mache
die Bäume wieder grün

Grün ist auch die Farbe, die im Kirchenjahr gerade als liturgische Farbe an der Reihe ist. Die Zeit ohne Feiertage jetzt – die Trinitatiszeit, ab dem ersten Sonntag nach Pfingsten – „ist“ grün. Grün als Farbe der Ruhe, der Harmonie, des Wachstums, der Hoffnung.

Florica Marian zitiert – es passt gut in diesen Zusammenhang – ihre Mutter. Sie hat in ihrer letzten Lebensphase gesagt: Man muss die Hoffnung in die Zukunft tragen.

Was für eine schöne und aktuelle Formulierung bezogen auf die Farbe Grün!

Wer draußen in der Natur ist, sollte sich die verschiedenen Grün-Nuancen einmal ansehen: Es gibt unendlich viele Grüntöne.

Ein leuchtendes, fast neonartiges Grün sehen wir in der Apsis. Da ist eine byzantinische Kreuzform ornamental mit pflanzlichen Elementen verwoben, die Hoffnung des Irdisch-Lebendigen mit der Hoffnung des Kreuzes, namentlich des Auferstehungsgedankens.

Interessanterweise sind pflanzliche Ornamente konfessionsübergreifend in Kunst und Architektur zu finden, ja, sogar religionsübergreifend. Florica Marian hat sich unter anderem mit Symbolen auf Kapitellen – also dem oberen Abschluss steinerner Säulen – beschäftigt. Hier ist aus der Kombination Kreuz und Pflanzen fast so etwas wie ein Kleeblatt entstanden.

Das dreiblättrige Kleeblatt deutet auf die Dreieinigkeit (= Trinitatis, wie vorhin erwähnt), wir kennen es aus Irland; das vierblättrige ist ein Symbol des Glücks. Laut einer Legende soll Eva es als Erinnerung an das Paradies mitgenommen und aufbewahrt haben.

Nicht alle Blätter sind bekanntlich grün. Es gibt auch welche, die rötlich sind oder ins Violette oder Bläuliche gehen, zum Beispiel die Blätter der Blutbuche. Dann ist das Chlorophyll, der grüne Farbstoff – dem wir übrigens die Verarbeitung von CO2 verdanken –, überdeckt von Anthocyanen, Farbstoffen, die im übrigen gesund sein sollen, wenn es sich um essbare Blätter handelt: Jeder kennt den Rotkohl!

Und dass Blätter nicht immer grün sind, erfahren wir natürlich im Herbst. Und schon im Sommer, denn auch wenn unsere Ausstellung vor allem die Laubblätter in den Fokus nimmt, sollten wir die Blütenblätter nicht ganz vergessen. (Im Saal nebenan sind beispielsweise Mohn- und Tulpenblüten zu sehen).

Die Bilder hier besitzen die reichhaltige Farbpalette des Sommers. Diese temperamentvolle Farbigkeit lieben wir alle, deswegen schenken wir uns Blumen und packen Geschenke in buntes Papier. Sogar die Kleidung ist im Sommer besonders farbenfroh – überhaupt das Wort „farbenfroh“ … Es ist, als ob die Blatt-Variationen von Florica Marian die Farben des Sommers reflektieren – und uns froh vor Augen führen.

Aber, wie gesagt, mit „bunten Blättern“ deutet sich auch schon der Herbst an.

Man muss die Hoffnung in die Zukunft tragen – darin sind verschiedene Zeitebenen enthalten. Hoffnung bezieht sich von vornherein auf die Zukunft, aber ich fasse das Zitat so auf, dass man immer wieder neu Hoffnung schöpfen soll.

Wenn im Frühling die Natur aufkeimt und so langsam Farbe annimmt, ist darin schon die Hoffnung auf die Lebhaftigkeit des Sommers und die Erntezeit im Spätsommer und Herbst enthalten.

Und: Schöpfen … Ja, wir alle sind schöpferisch tätig, haben Ideen, setzen sie in die Praxis um. (Das unterscheidet uns übrigens von der Künstlichen Intelligenz: Wir haben „Eingebungen“, oft spontan, einfach-so, ohne dass sie logisch sein müssen).

Künstlerinnen und Künstler haben ihre besonderen Ideen und lassen sie „materiell werden“; permanent. So versteht man auch, wie die Serie „365 Tage“ von Florica Marian entstanden ist – aus diesem Zyklus sind hier einige Arbeiten zu sehen. „Ein Bild als Hommage an jeden Tag, an die Schöpfung, an die Schönheit, die Farbe, die Malerei. Tag und Bild klingen nach“, sagt die Künstlerin dazu; sie macht gewissermaßen Zeit sichtbar, sie schöpft aus der Zeit, mit der Zeit, und „hält sie fest“, damit sie nicht im Irgendwo verklingt.

Um die Gestalt eines Blattes botanisch korrekt zu beschreiben, gibt es eine Menge Adjektive: eiförmig, herzförmig, pfeilförmig, nadelförmig oder rund – parallelnervig, netznervig, ganzrandig, gesägt, gestielt und gefiedert. Auch wer sich in der Botanik wenig auskennt, unterscheidet Pflanzen intuitiv anhand ihrer Blätter: Feldsalat sieht anders aus als Weißkohl, eine Kastanie hat ihr typisches Blattwerk, das wohl niemand mit dem einer Birke verwechselt.

Florica Marian hat vor allem die Blätter von Bananenpflanzen gezeichnet und gemalt – im Botanischen Garten auf der Insel Brissago im Tessin. Sie sind von beeindruckender Größe, bis zu 1,80 m groß, außerdem auf vielfache Weise verwendbar: zum Kochen, Servieren und Verpacken von Lebensmitteln; im religiös-zeremoniellen Kontext; als Baumaterial und bei der Papier- und Zwirnherstellung. Und sie spenden Schatten wie ein natürlicher Sonnenschirm – ganz ohne Plastikmüll.

Ein zweites Blatt, völlig anders gestaltet, sehen Sie rechts von der Apsis: Ginkgo. Eine uralte Baumart, die während der Eiszeit in Europa ausstarb und nur in Fernost überlebte – und dann, um 1700, vermutlich durch holländische Händler, wieder nach Europa zurückgelangte. Schon damals galt der Ginkgo als „Weltbaum“, der Ost und West verbindet, und die Menschen waren und sind voller Respekt vor seiner Widerstandskraft, die sich sogar nach der Katastrophe von Hiroshima gezeigt hat, als ein Ginkgobaum in völlig zerstörter und verstrahlter Umgebung frische, grüne Triebe ausbildete. Vermutlich ist das überhaupt das unglaublichste und heftigste Hoffnungsbild.

Man verbindet mit dem Ginkgo auch vielfache medizinische Wirkungen, ein Teilhaben an seinen Kräften sozusagen. Er ist angeblich die am meisten verwendete Heilpflanze der Welt.

Wenn wir die so vielfältig verwendbaren Blätter von Bananenstaude und Ginkgobaum hier sehen, so ist das auch wieder eine Hommage an die Schöpfung. Vieles von ihrer Vielfalt, ihrem Energiereichtum und auch ihrer Rätselhaftigkeit kennen wir gar nicht oder jedenfalls nicht mehr, denn unsere Naturverbundenheit ist nicht gerade gut ausgeprägt. Schade, wir könnten hier und da sicher dem Klimawandel entgegentreten, wenn wir mehr wüssten.


Dass eine Künstlerin aus dem Ausland unser Projekt bereichert, freut uns sehr.

Florica Marian stammt aus Genf und studierte Ethnologie und Kunst an der Kunsthochschule in Genf, außerdem Kunst an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien (bei Maria Lassnig). Sie ist auch promovierte Kunsttherapeutin.

Begeistert von Botanik und Heilpflanzen, beobachtete sie als Zeichnerin das Wachsen, Blühen und Welken der Pflanzen in botanischen Gärten und in den Alpen.

Ein paar dieser sensiblen Zeichnungen kann man im Saal neben dem Kirchraum sehen.

Die Liste ihrer Ausstellungen ist lang, neben einigen Galerieausstellungen sind vor allem ihre Ausstellungen in der Andreaskirche Zürich und im Krematorium der Stadt Zürich zu nennen. Aufgewachsen mit dem Bilderreichtum der orthodoxen Kirche, fühlt sie sich, wie sie berichtet, mit einer Ausstellung an christlich-spirituellen Orten am wohlsten.

Mit Kunst in der Apsis versuchen wir, einen solchen Ort immer wieder aufs Neue besonders zu machen.

Vielen Dank!


Marlies Blauth

 

 



Blick in den Saal