Predigt über
Jesaja 35,3 – 10
gehalten am
9.12.2012
in der
Evangelischen Kirche in Osterath
Liebe Gemeinde!
Die Adventszeit
ist seit alters her auch immer eine Zeit der Buße und Umkehr.
Dem Innehalten und
Schauen: Bin ich noch auf dem richtigen Weg?
Und welchen Weg
will Gott für mich?
Da passt es gut,
dass hier in der Apsis, ja eigentlich förmlich aus der Apsis heraus ein Weg in
die Weite und die Tiefe führt, bis hinein in den Horizont mit seinem wunderbar
und geheimnisvoll strahlenden Licht.
Er ist aus einer
Perspektive gemalt, dass er wie eine breite Bahn kaum zu verfehlen ist.
Dazu passt auch
der Predigttext, der für den Sonntag heute vorgeschlagen ist.
In ihm geht es
auch um einen Weg.
Einen Weg, den
Gott für Menschen eröffnet, die verzagt und müde sind und eigentlich kaum ein
Licht am Horizont sehen können.
Ihnen verkündet
der Prophet Jesaja im 35. Kapitel:
Stärket die müden Hände
und macht fest die wankenden Knie!
Saget den verzagten Herzen:
»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer
Gott!
Er kommt zur Rache;
Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der Stummen wird frohlocken.
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen
Und Ströme im dürren Lande.
Und wo es zuvor trocken gewesen ist,
sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist,
sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale
gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
Und es wird dort eine Bahn sein,
die der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes
Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden,
sondern die Erlösten werden dort gehen.
Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Liebe Gemeinde!
Kräftige Bilder
sind das, mit denen Jesaja hier Gottes Eingreifen beschreibt und förmlich
herbeisehnt. Große,
eindrückliche, farbige Hoffnungsbilder malt er seinen Hörern sozusagen vor
Augen. Mut machen und
trösten wollen sie.
Damit passen sie
gut in die Adventszeit hinein:
Nach den eher
traurig stimmenden, dunklen Sonntagen des zu Ende gegangenen Kirchenjahres –
Volkstrauertag und Totensonntag – steht heute sozusagen Hoffnung pur auf dem
Programm, ausgemalt in vielen kleinen Einzelbildern.
Tatsächlich
benutzt der Prophet für seine breit angelegte Hoffnungskampagne eine ganze
Anzahl verschiedener älterer Traditionen, die er fast wie in einer großen
Bildmontage zusammenfügt.
Und wer sich etwas
in der Befreiungsbotschaft des Alten Testamentes auskennt, der wird hier so
manches bekannte Motiv entdecken.
Ich will Sie
einladen, einzelne Elemente in einem Durchgang noch einmal genauer anzuschauen
– etwas zu ihrem Herkommen zu erfahren und miteinander zu fragen, was sie uns
heute in unserer Adventszeit zeigen und sagen können.
Drei größere
Bildteile sind es, die sich zeigen:
1. Trost für Müde und Verzagte
2. Der Weg Gottes
3. Das Ziel: Gemeinschaft mit Gott
1. Trost für Müde
und Verzagte
Stärket die müden
Hände
und macht fest die
wankenden Knie!
Saget den
verzagten Herzen:
»Seid getrost,
fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!
Er kommt zur
Rache;
Gott, der da
vergilt, kommt und wird euch helfen.«
Vielleicht ist es
Ihnen spätestens jetzt beim zweiten Hören auch so gegangen. Nach den
ermutigenden Bildern zu Beginn bleibt man hängen an den letzten Sätzen:
Gott kommt zur
Rache. Er vergilt. Das klingt verstörend. Ist Gott denn ein rächender Gott?
Wo man hängen
bleibt mit Ohr und Blick, da ist es gut, sich nicht vorschnell abzuwenden, sondern erst
einmal genauer hin zu schauen.
Bei alten Texten
ist es gut, nach dem Zusammenhang zu schauen und nach den Hörern und Lesern zu fragen,
für die diese Sätze zuerst gesagt sind.
Liest man das Buch
des Propheten Jesaja genauer, dann zeigt sich: Hier ist Trost und Weisung für
die Menschen im Volk Israel über mehrere Jahrhunderte gesammelt. Zeiten, in
denen die Menschen oft unter Krieg und Unterdrückung zu leiden hatten.
So soll unser
Kapitel offensichtlich dazu dienen, die im Verhältnis kleine Schar von
Vertriebenen in Babylon zu ermutigen. Sie
hatten den Krieg um Jerusalem erlebt. Sie hatten alles verloren. Waren aus der
Heimat vertrieben. Waren sozusagen im Land der Feinde gefangen. Eine Rückkehr
war ungewiss.
Viele in unserem
Land erinnern sich vielleicht unwillkürlich an die Zeiten nach dem letzten
großen Krieg. An Gefangene in
Russland auf der einen Seite. Aber auch an eigene Schulderfahrungen, an einen 8. Mai 1945,
der zugleich als Niederlage und als Befreiung erfahren wurde. Solche eigenen Erfahrungen
mögen helfen zu verstehen, was dem Volk Israel hier vor Augen gemalt wird.
Unterdrückung soll
aufhören. Gerechtigkeit aufleben. Und das heißt auch: ein gerechter Ausgleich.
Gott kommt und
wird euch helfen – übersetzt Luther. Genauer noch wäre: Gott kommt euch zu
befreien.
Die das hören,
erinnern sich zugleich daran, wie Gott Israel schon einmal befreit hat, aus
Ägypten.
Weil das Volk
diese Erfahrung schon einmal gemacht hat, darum kann Jesaja daran erinnern und
solche Befreiung neu vor Augen malen.
Weil sie möglich
ist und kurz bevorsteht, deshalb können auch müde Hände und Füße wieder stark und
Herzen hoffnungsvoll werden. Gott kommt, um euch zu befreien!
Eine aufrüttelnde
Ankündigung kann das sein.
Hören wir sie
heute auch so? Wer unter uns hört sie auch so? Mutmachend! Aufrüttelnd! Mit so
großem, weltweiten Horizont!
Ich finde es gut,
dass auch uns in unserer Adventszeit ein solch weiter Horizont vor Augen gemalt
wird – von großen Veränderungen hin zu Freiheit und Gerechtigkeit für alle
Menschen.
Auch wenn ich
gerade deshalb eine merkwürdige Spannung empfinde zu der Art, wie die Menschen
in unseren Städten, wie wir die Adventszeit in den letzten Jahren mehr und mehr
feiern.
Mit Glühwein auf
unzähligen Weihnachtsmärkten, mit aufblasbaren Weihnachtsmännern vor Häusern
und an Dachrinnen hängend.
Gewiß: Wir selbst
sind sicherlich in einer völlig anderen Situation als die Israeliten damals in
Babel.
Im Verhältnis zu
ihnen sind wir frei in unserem Land.
Brauchen unsere
Hände und Herzen darum keine Ermutigung und Stärkung mehr?
Wie sieht es um
uns herum aus mit Gerechtigkeit und Freiheit und Frieden für die Menschen? Es
muss vieles anders werden – das sagen viele.
Aber wie? Wie kann
es anders werden?
Worauf wird
geblickt?
Was an den Rand
der Wahrnehmung verdrängt?
Wie gehen wir mit
all dem um?
Manche ziehen sich
wohl einfach resigniert zurück in ihren privaten Alltag. Bei anderen ist und
bleibt die Sehnsucht nach Veränderung groß. Einerseits.
Und zugleich ist
doch auch die Furcht vor Veränderung häufig groß. Wie aber können Furcht,
Resignation und Trägheit überwunden werden?
Jesaja malt die
Veränderung in kräftigen Bildern vor Augen, mit denen er Gottes Eingreifen
herbeisehnt und beschreibt.
2. Der Weg zu Gott
Dann werden die
Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der
Tauben geöffnet werden.
Dann werden die
Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der
Stummen wird frohlocken.
Denn es werden
Wasser in der Wüste hervorbrechen
und Ströme im
dürren Lande.
Und wo es zuvor trocken gewesen ist,
sollen Teiche
stehen.
Und wo es dürre
gewesen ist,
sollen
Brunnquellen sein.
Wo zuvor die
Schakale
gelegen haben,
soll Gras und Rohr
und Schilf stehen.
Alles, was hindert,
sich auf den Weg zu machen, alle Blindheit und Lahmheit bei den Menschen, wird
überwunden werden. Und auch die Natur ändert sich so, dass schon der Weg ein
Vorschein wird auf das Ziel. Wasser, wo vorher Wüste war. Leben, wo vorher
Lebensbedrohliches war.
Und es wird dort
eine Bahn sein,
die der heilige
Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf
ihn betreten;
nur sie werden auf
ihm gehen;
auch die Toren
dürfen nicht darauf umherirren.
Es wird da kein
Löwe sein und kein reißendes
Tier darauf gehen;
sie sind dort nicht zu finden,
sondern die
Erlösten werden dort gehen.
Die diese Bilder
in Babylon als erste hören, die erinnern sich: der erste Weg in die Freiheit, der
Weg aus Ägypten, der war oft mühsam. Er führte in die Wüste hinaus. Die
Soldaten des Pharao verfolgten das Volk auf ihren Pferden. Und auch die Natur
hatte ihre Gefahren. Wenn sie aus Babylon nun wieder nach Hause, nach
Jerusalem, nach Zion zum Tempel wollten, dann müssten sie wieder durch eine
große Wüste.
Wie soll das
gehen? Da kann man nur mutlos werden!
Jesajas Worte
wollen ihnen machen Mut, die Hoffnung neu zu wagen.
So malt er ihnen
einen breiten, hellen Weg vor Augen, Gott selbst wird ihn schaffen. Auf ihm
können sie ihren Weg gehen, ohne Gefahr. Und ohne, dass sie jemand vom Weg
abbringen kann.
Ob wir heute den
Weg immer so klar finden?
Tatsächlich konnten
die Israeliten nach 70 Jahren ihren Weg durch die Wüste wieder nach Hause
antreten. Dieser Weg war wohl nicht ganz so hell und problemlos, wie in Jesajas
Verheißungen. Oft ist es ja so, das Bilder und Erzählungen der Bibel über ihre
erste Zeit hinaus wirken. Hier bei Jesaja haben wir das ja schon gespürt mit
den Bildern und Erzählungen der Befreiung aus Ägypten.
Und ganz ähnlich
finden auch in späteren Zeiten Menschen sich und ihre Situation ermutigt von
den Worten Jesajas und erkennen sich dort wieder.
So erkennen die
ersten Christen, als sie Jesus begegnet sind, in seinem Weg etwas von diesem
Weg und in seinen Worten etwas von dieser Ermutigung: Gott kommt zu uns um uns
zu helfen.
Er kommt zu uns.
In Jesus Christus. Der spricht ja selbst: "Kommt her zu mir, die ihr
mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." Kommt her, ihr Müden,
ihr Wackelkandidaten und Bestürzten.
Ich will euch
erfrischen, wiederbeleben und quicklebendig machen. Viele erfahren es und
folgen ihm. Und als die Jünger des Johannes zu ihm kommen und fragen, ob er der
Messias sei, da antwortet er:
sagt Johannes, was ihr hier erfahrt – Blinde sehen, Lahme gehen und den Armen
wird das Evangelium verkündet.
Und er ruft seine
Jünger auf seinen Weg, in die Nachfolge. Bei den ersten Christen heißt darum
sogar der Glaube selbst einfach ‚der Weg‘.
Dabei ist dieser
Weg dann aber auch zugleich ein überraschend anderer, als manche Motive bei
Jesaja. Aus dem Gott, der
mit Macht für den gerechten Ausgleich sorgt und den Unterdrückern vergilt, wird
der Mann, der ohne alle Macht einreitet in Jerusalem, sanftmütig auf einem
Esel.
Der sich auch der
Macht nicht widersetzt, als er ans Kreuz geschlagen werden soll.
Und doch steht am
Ende seines Weges nicht die Dunkelheit des Todes, sondern das Licht der
Auferstehung. Ist es Zufall, dass manche der Farben auf den Bildern in der
Apsis hier denen ähneln, die den auferstandenen Jesus Christus umgeben auf dem
berühmten Gemälde des Isenheimer Altars?
Auferstehung – das ist der letzte Horizont des Weges.
Und das meint
zugleich: Gemeinschaft mit Gott.
Damit sind wir
beim 3. und letzten Motiv der großartigen Verheißung bei Jesaja:
3. Das Ziel –
Gemeinschaft mit Gott
Die Erlösten des
HERRN werden wiederkommen
und nach Zion
kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird
über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne
werden sie ergreifen,
und Schmerz und
Seufzen wird entfliehen.
Die Erlösten –
genauer müsste es eigentlich heißen:
die Losgekauften.
Die Freigekauften.
Viele von Ihnen
werden sich wohl noch erinnern.
An Tausende, die
unser Land aus den Gefängnissen der DDR freigekauft hat in den 70er und 80er
Jahren.
Ich habe damals
auch einen Verwandten im Auffanglager Gießen begrüßt und bei den ersten
Schritten auf dem Weg der Freiheit begleitet und erinnere mich gut, was das
bedeutete.
An Neuem und
Eingewöhnung – aber auch an Freude!
Und wer erinnert
sich nicht an die Freudentränen und den Jubel, als dann die Mauer für alle
fiel!
Auch wenn viele
danach das Gefühl erleben mussten, nun an verschiedenen Stellen in andere
Gefangenschaften zu geraten – ohne Arbeit etwa.
Das Ziel des Weges
für die Freigekauften damals
war Jerusalem,
genauer: Zion – der Tempel Gottes.
Aus der Ferne für
so viele der Ort, an dem sie Gott selbst begegnen können.
Wo sich sozusagen
Himmel und Erde berühren.
Ein symbolischer
Ort eigentlich – Ausdruck der Hoffnung in allen Widersprüchen der Welt.
Das heutige
Jerusalem, in dem nur noch die Reste einer Mauer des Tempels zu finden sind,
hat an den Widersprüchen dieser Welt teil. Doch schon im Neuen Testament, in
der Offenbarung, haben die Christen
dieses Bild für sich weitergemalt. Nun wird das himmlische Jerusalem das Bild
für Gottes Reich bei uns Menschen.
Nach seinem Bild
sind viele Kirchen gebaut. Etwa der Aachener Dom mit seinem großen
Kronleuchter.
Wenn ich mich
frage: Wo kann uns heute im Advent dieser Weg der Befreiten hinführen, den
Jesaja uns vor Augen malt – dann fällt mir eine Legende ein:
Es waren einmal
zwei Mönche, die lasen miteinander in einem alten Buch, am Ende der Welt gäbe
es einen Ort, an dem Himmel und Erde sich berührten und das Reich Gottes
begänne. Sie beschlossen, ihn zu suchen und nicht umzukehren, ehe sie ihn
gefunden hätten. Sie durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren,
erlitten alle Entbehrungen, die eine Wanderung durch die ganze Welt fordert,
und alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem Ziel abbringen können.
Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen. Man brauchte nur anzuklopfen und
befinde sich im Reich Gottes.
Schließlich fanden
sie, was sie suchten. Sie klopften an die Tür und bebenden Herzens sahen sie,
wie sie sich weit öffnete... Und als die beiden Mönche eintraten, standen sie
zu Haus in ihrer Klosterzelle und sahen sich gegenseitig an. Da begriffen sie:
Der Ort, an dem das Reich Gottes beginnt,
befindet sich auf
der Erde, an der Stelle,
die Gott uns
zugewiesen hat.
Liebe Gemeinde, Jesajas
Vision für die Adventszeit will uns auch heute noch sagen:
Nicht Verdrängung,
nicht Ohnmacht, nicht Resignation kann der Weg sein für Gottes Kinder.
Sondern: offene
Ohren für Gottes Wort offene Augen für die Menschen,
die mit uns auf
dem Weg sind durch das Leben, und ein freies, getrostes, dankbares Herz, das
aus der Hoffnung lebt:
Unser Herr Jesus
Christus eröffnet uns den Weg zum Licht Gottes und bereitet für uns die Bahn in
sein Reich.
Und an uns ist es,
ihm darauf zu folgen.
Amen.
Pfarrer Gerhard Saß
Pfarrer Gerhard Saß